I Petrus 5, 5b–11
Abschied auf dem Flughafen, am Bahnsteig oder beim Schließen der Autotür. Was sagt man da? „Pass auf Dich auf!“ „Arbeite nicht zu viel!“ „Sei vorsichtig und achte auf Deine Gesundheit!“ – So oder ähnlich haben wir es oft gehört oder selbst gesagt. Der Apostel Petrus beendet seinen 1. Brief an die Gemeinde in Kleinasien auch mit ein paar guten Wünschen und Empfehlungen. Wir hören Worte aus dem Schluss des 1. Petrusbriefes, im 5. Kapitel:
5b Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. 6 So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. 7 Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. 8 Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.9 Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass eben-dieselben Leiden über eure Brüder und Schwestern in der Welt kommen. – 10 Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. 11 Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit!
Der Briefschreiber: Petrus, der Jünger Jesu – der Fischer vom See Genezareth, wird das wohl nicht gewesen sein, denn das Griechisch ist einfach zu gut für einen aramäischen Mutter-sprachler mit handfestem Beruf. Doch nennen wir ihn Petrus, weil er in dessen Geist denken will. – Petrus schreibt von Demut und Sorge, von Leiden und Stärkung: Es sind also durchaus ernste letzte Ermahnungen, die da zu hören sind. Sorge und Leiden, darauf kann man gut ver-zichten; Demut, das klingt irgendwie unzeitgemäß und klerikal. Allein das Positive, die Stär-kung, spricht uns unmittelbar an und wir würden das heute mit den Modebegriffen „Resilienz“ und „Empowerment“ benennen.
Doch der Reihe nach. Zuerst also die etwas altertümliche, angestaubt klingende christliche Tugend der Demut. Diese beiden Verse aus dem 1 Petr sind das schönste Lied der Demut in der gesamten Heiligen Schrift. Die Demut wird gepriesen als beglückende Tugend, genauer als ein Kleid, das dem Christenmenschen gut zu Gesicht steht: Alle aber miteinander bekleidet euch mit Demut. In der Lutherübersetzung 1984 hieß es noch Alle miteinander aber haltet fest an der Demut. In der neuen Fassung von 2017 ist das Bild von der Schürze aufgenommen, das im griechischen Text steht: Bindet euch die Schürze der Demut um, so heißt es ganz wörtlich. Streng genommen wird von uns nicht einmal verlangt, im Wesen demütig zu sein, sondern nur, uns mit Demut zu umgeben. Das dürfte doch nicht so schwer sein.
Jesus benutzt das Wort demütig, als er die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft: „denn ich bin sanftmütig und im Herzen demütig“ (Mt 11,29). Man kann in beiden Stellen zwei Stufen sehen: Jesus ist wirklich, vom Herzen her, demütig; wir aber sollen uns wenigstens mit Demut umgeben, umkleiden, demütig auf andere Menschen zugehen. Das demütige Sein ist die Sache Jesu; wir sollen uns aber immerhin demütig verhalten.
Jetzt könnte man gegen meine Unterscheidung einwenden, damit komme eine Art von Unehrlichkeit in die Sache hinein: Wir sollten nur so tun, als ob wir demütig sind, uns mit dem äuße-ren Kleid der Demut umgeben, aber in Wirklichkeit könnten wir ruhig hochmütig und stolz sein auf unser Christsein – nach außen demütig, nach innen hochmütig. Friedrich Nietzsche hat das Christentum so verstanden. Nietzsche hasste das Wort Demut als Ausdruck von Servilität, von Sklavenmoral, die in Wirklichkeit durch die Hintertür herrschen will. „Wer sich selbst erniedrigt, will erhöhet werden“, so Nietzsche in seiner Schrift „Menschliches, Allzumenschliches“ von 1878. Nietzsche setzte als Überschrift dazu: „Lucas 18,14 verbessert“ – dieser Vers ist der Schluss der Zachäusgeschichte (KSA 2,87). Auch in der griechisch-hellenistischen Umgebung galt die Demut oder Niedrigkeit als eine zu verabscheuende Knechtsgesinnung, die eines freien Menschen unwürdig sei; wahrscheinlich hat Nietzsche seine Abneigung von dort übernommen.
Doch zurück zum Apostel Petrus: Ich verstehe die umgebundene, angenommene Demut als eine Einübung in die wahre Demut. Also könnte man übertragen: Umgebt euch mit Demut, dann werdet ihr auch demütig. Durch demütiges Verhalten verändert sich auch euer Wesen.
Und nun die Verheißung: So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Wer sich vor Gott klein macht, den wird Gott groß machen. Papst Leo XIV. hat es in seiner Ansprache bei der Generalaudienz am 3. September sehr schön formuliert: „Das Maß unserer Menschlichkeit liegt in unserer Fähigkeit, uns lieben und sogar helfen zu lassen.“ Das Besondere dieses Satzes liegt in dem Umdrehen des Üblichen. Wir kennen das aus vielen Predigten: Das Maß unserer Menschlichkeit liegt in unserer Fähigkeit andere zu lieben und ihnen zu helfen. Das stimmt ja auch. Aber hinter der Liebe und dem Helfen kann sich auch Hochmut verbergen. Menschlich wird der Mensch erst durch Demut – wenn er sich lieben und sogar helfen lässt. Wer sich demütigt, wird erhöht zum Menschsein, wie es einst im Leben Jesu war. Mit seinem Schrei am Kreuz „Mich dürstet“, so Papst Leo, sagt Jesus uns, „dass Liebe, um wahr zu sein, auch lernen muss zu bitten und nicht nur zu geben.“ Und schließlich: „Erlösung liegt nicht in Autonomie, sondern darin, demütig die eigene Not zu erkennen und sie frei auszudrücken.“ (CiG 37,4) Demut hat die Verheißung, Jesus nahezukommen, dem bedürftigen Jesus, dem Menschen, der sich traute, das zu sein: Mensch Gottes.
Ein in dieser Weise demütiger Mensch, der etwas von Gott erwartet, ist in anderer Weise wieder stark. Denn Demut heißt, sich seine Kraft von woanders her geben zu lassen. Und dazu gibt es eine besondere Herausforderung: die Sorge. Sie macht uns allen mehr oder weniger zu schaffen. Wenn ich die Sorge abstellen könnte um Dinge, die dann doch nicht eintreten, wäre ich ruhiger, genussvoller, glücklicher. Ach könnte man die Sorge doch in den Griff kriegen! Jesus sagt in der Bergpredigt: Sorgt nicht für morgen denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen (Mt 6,34). Der Mensch ist ein zeitliches Wesen und darum wächst mit dem Zeitbewusstsein auch die Sorge heran. Martin Heidegger meinte in seinem Jahrhundertwerk „Sein und Zeit“ von 1926, die Sorge sei das Sein des Daseins (§ 41). Die Sorge liege faktisch vor jedem Verhalten (193), vor allem Wollen und Wünschen. Wie können wir damit leben?
Es gibt die gegenwärtig eine therapeutische Richtung der so genannten Achtsamkeit, die unter anderem damit versucht fertig zu werden. Wenn Du vor einer Tür stehst, um dort anzuklingeln, dann denke nicht zugleich an den Stau auf dem Heimweg, nicht an die Auseinandersetzung mit dem Nachbarn und an das Gespräch beim Abendessen. Klingle und lächle dem Klingeln entgegen! So die Achtsamkeitspraxis, die dann mit Gegenständen in der Hand, dem Ge-schmack der Dinge und sinnlichen Wahrnehmungen die Gegenwart vor die Zukunftsmulmigkeit setzt. Ein guter Ansatz, um der Sorge Herr zu werden durch Verhaltenstraining.
Eine besondere Form von Achtsamkeit empfiehlt auch der Apostel Petrus: Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Dabei wird also nicht empfohlen, sich auf die vor einem stehende Haustür zu konzentrieren oder auf die einzelne Weintraube im Mund, sondern auf den, der uns geschaffen hat und von dem Paulus in seiner Predigt auf dem Athener Areopag gesagt hat: „In ihm leben, weben und sind wir.“ (Apg 17,28) Konzentriere dich auf den, der in dir ist und du in ihm; spüre der Tatsache nach, dass du geschaffen bist und dass umfassend für dich gesorgt ist, was auch immer passiert. All deine Sorge wirf auf ihn. –
Und nun noch der negative Aspekt, weil es auch mit dem Glauben immer wieder nicht klappt. Petrus weiß: Es kommen Ereignisse, die können einen völlig durcheinander bringen und in den Abgrund reißen. Er benutzt dazu ein altes mythologisches Bild, den Teufel. Der Teufel steht für das Verwirrende, Abgründige, das einen alles Gute vergessen lässt. Darum der eindringliche Hinweis: Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.9 Dem widersteht, fest im Glauben.
Lasst Euch nicht auffressen, lasst euch nicht absorbieren, würden wir heute sagen, von schlechten Gedanken und Befürchtungen. Wenn es ganz dicke kommt, wenn ihr wirklich Angst habt, dann erlebt die Gottes-Achtsamkeit ihre höchste Stufe: widersteht, fest im Glauben. Wenn Gott ganz fern scheint und der Teufel ganz nah, dann ist Widerstand gefordert; das ist also die Achtsamkeit auf Gott in der Krise, noch schwerer als bei den sonstigen Sorgen.
Aber der Apostel Petrus verabschiedet sich nicht mit dem Ausmalen der Krise. Gott selbst, so Petrus, wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Gott, der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu, so steht es im Eingang dieses Briefes (1 Petr 1,3), Gott wird auch euch aufrichten. Er wird die Schwachheit beseitigen und Kraft geben; und er wird euch das Fundament geben, auf dem ihr schon steht. So schreibt es ja Paulus in 1 Kor 3,11: Einen anderen Grund kann niemand legen, als der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Petrus fügt da hinzu: Gott wird euch fundamentie-ren auf dem Fundament Christus, damit euch nichts mehr umwirft. Alle Sorge werft auf ihn und ihr werdet fest stehen. Achtet darauf. Er sorgt für euch.
Ihm sei die Macht in alle Ewigkeit!
Amen.