Jesaja 50, 4-7
Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.
Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.
Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden.
Liebe Gemeinde!
Palmsonntag ist ein fröhlicher Tag.
Ein quirliger Tag, an dem viele auf den Beinen sind.
Nicht nur heute bei uns hier, sondern auch damals in Jerusalem, als Jesus tatsächlich in die Stadt kam.
In der Stadt herrschte eine aufgekratzte Stimmung. Das Passafest stand vor der Tür. Tausende Pilger waren deshalb nach Jerusalem gekommen. Viele mussten noch die letzten Einkäufe vor dem Fest erledigen.
Alle sind von einer angeheizten Vorfreude erfüllt.
Tausende Stimmen erfüllen die Gassen der Stadt.
Und dann kommt auch noch Jesus, der berühmte Prediger aus Nazareth.
Die Mächtigen stöhnen: Muss das jetzt auch noch sein? Ist die Stimmung nicht schon angeheizt genug! Muss jetzt auch noch dieser Mann kommen?
Die Menschen sind wie heute. Sie sind gespannt, wenn ein berühmter Mensch kommt.
Sie erwarten viel vom ihm. Manche haben gesagt, dass er der Erlöser sein soll. Vielleicht hilft er ja wirklich! Vielleicht kann er unser Leben besser machen!
Und wie wir alle wissen: Als Jesus in die Stadt kommt, werden die Stimmen der Menschen wirklich noch lauter. Die Menschen, die Jesus mögen, brechen in Jubel aus. Sie rufen „Hosianna!“ wie für einen König.
Das zeigt Wirkung. Das gefällt den Menschen. Da machen wir auch gerne mit, wenn alle, wenn zumindest die Mehrheit Jesus nachläuft.
Bei so einer Stimmung ist es leicht, Christ zu sein. Das macht nicht nur den Kindern Spaß, sondern das gefällt uns auch.
„Gruppengefühl“ nennt man das oder „Euphorie“.
Liebe Freunde,
einer aber bleibt bei diesem Wahnsinns-Stimmengewirr damals in Jerusalem ganz ruhig.
Wir wissen, was die Menschen gerufen haben.
Wir wissen, was die Machthaber gesagt haben.
Aber von einem ist uns gar kein Wort vom Palmsonntag überliefert: Von Jesus selber. Ist das nicht komisch!?
Klar, werden Sie jetzt sagen, der war total überwältigt von den Massen; der hat gar kein Wort rausgebracht.
Aber dass Jesus ganz still wird, hat einen anderen Grund:
Er wird nicht laut, wenn alle aufdrehen. Er lässt sich nicht mitreißen, wenn alle laufen.
Nein, er hat ein feines Ohr: Und er hört immer auf die leisen Töne.
Er hört das weinende Kind, das vom Jubel der Pilger übertönt wird.
Er sieht die trauernde Witwe am Straßenrand, der nicht zum Jubel zumute ist.
Er hört den ausgebrannten Geschäftsmann, der nachts wach liegt, weil er nicht schlafen kann.
Auch mitten im Jubel, der sich um seine Person dreht, behält er ein feines Gehör.
Jesus kennt die Worte, die der Prophet Jesaja einmal gesagt hat:
Gott weckt mir jeden Morgen das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.
Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet.
Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. (Jes 50,4f.)
Jesus kennt diese Worte; und er bezieht sie auf sich.
Und wie kein anderer setzt er sie um.
Jesus bezieht das auf sich, und wir wissen, wie seine Geschichte am Karfreitag weitergeht:
„Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.“
Er ist nicht nur ein König für gute Tage, wenn die Lage stimmt, sondern er hält als König auch sein Angesicht hin, wenn es unbequem wird, und wenn es dadurch zum „Haupt voll Blut und Wunden“ wird.
Aber zurück zum Palmsonntag!
Stimmengewirr und Jubel: Das kennen wir; und das lieben wir.
Aber ein geschultes, sensibles, ein demütiges Ohr; daran müssen wir immer wieder arbeiten.
Wenn es bei uns alle laut sprechen, dann reden wir noch lauter, um uns Gehör zu verschaffen. Das ist in jeder Wirtschaft so und auch in jeder Schulklasse.
Die Lautstärkespirale dreht sich dann immer weiter nach oben.
Jesus ist da wohltuend anders.
Er wird leise, wenn alle schreien.
Er hört zu, wenn alle anderen beschäftigt sind.
Er ist da, wenn alle anderen weglaufen.
Wir sind heute eingeladen, diese leise Neben-Botschaft des Palmsonntags zu hören.
Und wir sind eingeladen, von ihr zu lernen.
Gott, gib mir ein hörendes Ohr!
Lass mich auf die richtigen Stimmen hören! Nicht nur auf die lautesten und die neusten!
Gott, lass mich im Stimmengewirr dieser Welt auch dich nicht überhören!
Gott redet sehr leise. Das war schon immer so. Und vielleicht hören deshalb so viele Menschen nicht auf ihn, weil sie es laut und schrill wollen.
Das war auch schon immer so.
Dieser Palmsonntag will uns helfen, auf die richtigen Stimmen im Leben hören.
Die Geschichte vom Palmsonntag stellt uns beides vor Augen:
Den lauten fröhlichen Jubel, der ja auch schön sein kann.
Und dann das ruhige und hörende Ohr Jesu.
Wir Menschen brauchen beides, aber wir können das eine besser als das andere.
Wir sollen Menschen sein, die auf die richtigen Stimmen hören.
Wir sollen Menschen sein, die auch leise und zarte Töne wahrnehmen.
Wir sollen Menschen sein, die nicht bloß immer mit der großen Menge mitlaufen und mitschreien.
Wir werden heute über unsere Gemeinde nachdenken. Und auch hier ist bei allem Planen und Wählen und Tun wichtig: Lasst uns das Hören nicht vergessen: Das Hören auf die Leisen unter uns. Das Hören auf die, die vielleicht nicht viel zu sagen haben. Aber vor allem: Das Hören auf Gott. Wenn wir das nicht immer wieder gemeinsam einüben im Gottesdienst, wo wir die Bibel lesen und auslegen, wo wir still werden und beten, dann sind wir vielleicht ein aktiver Club, aber keine Kirche.
Begegnung (wie sie zu unserem Gemeindeprofil gehört) basiert auf der Erst-Begegnung mit unserem Gott.
Wenn der uns nichts sagt, dann haben wir den anderen auch nichts zu sagen.
Wenn der uns nicht motiviert, dann gehen uns irgendwann die Kräfte aus.
Wenn der nicht unsere Werte vorgibt, dann verlieren wir uns in den Moden der Welt.
Wir sollen nicht Menschen seien, die laut schreien, sondern Menschen, die hören.
Weder als Kirche, noch als einzelne Menschen dürfen wir uns von oberflächlichen Zustimmung abhängig machen
Hören, wie Jünger hören: Das zeichnet eine Gemeinde aus.
So will Gott uns haben; und so zieht uns Jesus voran.
Wo Menschen so zusammenleben – in den Familien, in der Schule, in der Gemeinde, da wird man die Wirkung merken.
Wo wir zuhören und unsere Worte vorher überlegen, da wird es besser.
Wo wir zu unterscheiden lernen zwischen dem „Hosianna“ und dem „Kreuzige ihn!“; und nicht jeden Mist mitbrüllen, da tun wir der Gesellschaft gut.
Und deshalb brauchen wir ihn,
Jesus, der uns dabei an die Hand nimmt.
Deshalb brauchen wir Gott,
den wir immer wieder bitten können:
Öffne meine Ohren, damit ich das höre, was wirklich wichtig ist,
und dass ich dem nachlaufe, der mich zum Ziel bringt,
zum Ziel dieser ganzen Welt und zum Ziel meines eigenen Lebens.
Amen