1. Mose 28
Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran
und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht,
denn die Sonne war untergegangen.
Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.
Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.
Und der Herr stand oben darauf und sprach:
Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.
Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.
Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land.
Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er:
Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!
Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.
Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf
und nannte die Stätte Bethel; vorher aber hieß die Stadt Lus.
Liebe Gemeinde,
Gott loben und ihm danken: Das ist heute das Thema des Gottesdienstes.
„Gott sei Dank!“ – Wir sollen nicht vergessen, das zu sagen, und wir tun das auch immer wieder in verschiedenen Situation.
Wenn uns etwas gelungen ist: Gott sei Dank!
Wenn wir etwas besonders Schönes erleben: Gott sei Dank!
Wenn wir gesund geworden sind nach schwerer Krankheit: Gott sei Dank!
Dank ist etwas für festliche Stunden, für helle Momente, für Jubiläen und Geburtstage. Da singen wir gerne schöne Lieder.
Dank ist etwas für gute Tage.
Unser Vater im Glauben, der Jakob dankt Gott auch. Er tut das nicht nur mit Worten, sondern er errichtet sogar einen kleinen Steinaltar und weiht die Stätte Gott.
Aber tut das nicht in frohen Tagen. Er tut das nicht an einem Glückstag. Er tut das nach einer dunklen Nacht an einem Tiefpunkt seines Lebens.
Wenn wir die schöne Geschichte hören, wie Jakob von der Himmelsleiter träumt, dann vergessen wir oft, in welcher Situation sich dieser Mann damals befindet.
Das war eine ganz dunkle Stunde, als der Jakob sich dort am Wegesrand irgendwo auf den Boden legt. Er hat keine Heimat, kein Quartier, kein Gasthaus. Er hat nur einen Stein, auf den er seinen Kopf legen kann.
Wir sind alle froh, dass wir nachts mindestens ein Kissen im Bett haben. Das war schon eine harte Sache.
Aber was noch viel schlimmer war, ist das, was hinter ihm liegt.
Dieser Jakob war ja ein häuslicher Typ; er war gern daheim. Sein Bruder Esau war ein Abenteurer und gerne unterwegs, der streifte gerne durch die Natur und war ein Jäger.
Aber der Jakob war gern daheim, er war ein Muttersöhnchen.
Und genau diesen Jakob hat es hinausgeschleudert in die dunkle Nacht. Das war unheimlich. Kommen da Skorpione, wenn man am Boden liegt? Kommen da Räuber und fallen über einen her? Da kann man schon Angst haben, wenn man das schutzlos allein daliegt.
Für den Jakob war aber das Schlimmste:
Er hat sich selbst etwas eingebrockt, das er jetzt selber ausbaden musste.
Der Zorn seines Bruders Esau war hinter ihm her. Vor ihm musste er fliehen. Esau hatte deutlich gesagt: Wenn der Vater tot ist, dann gibt es Rache, dann bringe ich ihn um.
Und die Mutter rät ihrem Söhnchen: Bring dich in Sicherheit! Geh zu meinem Bruder. Und Jakob gehorcht, verlässt das sichere Nest der Familie und ist plötzlich allein auf dieser dunklen Straße. Da überkommt ihn die Angst.
Sie wissen, dass der Jakob ein ganz besonderer Auserwählter Gottes war, ein großer Glaubenszeuge. Und auch Auserwählte Gottes können Angst haben, wenn sie auf einmal merken: Ich habe einen großen Fehler gemacht.
Was war denn dieser Fehler?
Es war nicht falsch, dass Jakob nach dem Segen Gottes gegriffen hat.
Mögen wir alle immer wieder nach dem Segen Gottes trachten!
Das war nicht falsch. Die Mittel waren falsch.
Das war wunderbar, dass Jakob ein Segensträger sein wollte.
Und ich sage es nochmal: Das ist auch für unser Leben das Größte, wenn wir Segensträger sind, die auch anderen zum Segen werden, dass ich nicht für mich lebe und für die Rente und für die Gesundheit, sondern dass durch mein Leben andere Menschen auf Erden gesegnet werden.
So lautete ja der alte Segen an Abraham, den Großvater Jakobs:
Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein. (Gen 12,2)
Nehmen wir das auch Motto für uns:
„Gott, du hast den Abraham gebraucht. Gebrauche mich, dass ich dir dienen kann, egal wie schwach und begrenzt ich immer wieder bin und welche Möglichkeiten ich habe, ich will deinen Segen haben.“
Jakob wollte diesen Segen, aber die Mittel waren falsch. Jakob hat es mit einem Betrug versucht. Er hat gemeint, er könne den Segen durch eine List erkaufen. Nein, man kann den Segen Gottes nicht erkaufen!
Man kann den Segen Gottes nur gratis, aus Gnaden geschenkt bekommen.
Man kann ihn nicht mit List erwerben und auch nicht mit Leistung.
Das war eine Torheit von Jakob. Gott hat ihm ja schon von Geburt an verheißen, dass er der Segensträger wird. Er hätte einfach Gott vertrauen können, dass Gott das irgendwie, irgendwann umsetzt.
Aber der Jakob ist an dieser Stelle in eine Not geraten, die er sich selber bereitet hat. Er hat sich den Zorn seines Bruders zugezogen. Er hat seinen Vater getäuscht.
Es ist etwas Furchtbares, wenn wir meinen, wir könnten mit Tricks und mit falschen Methoden etwas von Gott erreichen. Darunter leidet die Gemeinschaft der Gläubigen bis heute. Man kann niemandem zum Segen werden mit falschen Methoden.
Es ist so wunderbar, dass Gott Menschen ruft und in Dienst nimmt, und ohne etwas Zusätzliches segnet. Es ist nicht die Frage, wie viel Geld man mitbringt, es ist für Gott nicht wichtig, wie schön die Gebäude sind und wie jemand aussieht, sondern es ist wichtig, dass Gott uns zu Segensträgern macht – wann und wo er will.
Das war das Schlimme, weshalb Jakob fliehen musste, weil er die falschen Mittel gewählt hatte, weil er nicht auf Gott warten konnte.
Deshalb landet er in der Einsamkeit, die er bis dahin überhaupt nicht kannte.
Alle Türen gingen für ihn zu, und um ihn herum ist alles dunkel und finster.
Er bleibt ganz allein mit sich. Und hier kommt sein Ich-Wille ins Rutschen.
Das ist ja immer ganz wichtig bei uns: Was ich will und was ich kann.
So wollte Jakob sein Leben in die Hand nehmen und seinen Bruder übertölpeln. Und das musste schiefgehen.
Mit unserm Ich, mit unserer Natur, mit unserem Fleisch und Blut können wir vor Gott nichts bewirken.
Das geht nur auf dem Gnadenweg.
Hätte er doch nur auf Gott vertraut! Aber das ist als Beobachter leicht gesagt. Das können wir heute als Bibelleser leicht sagen – mit dem Blick auf das ganze Leben.
Das müssen wir auch in unserem Leben tun: Auf Gott vertrauen. Auf seine Zusagen bauen. Auf sein Wort hin glauben. Und nicht uns selbst etwas „zusammenschustern“ (schlecht zusammenbauen).
Wir sind gar nicht in der Lage, den Jakob zu kritisieren, denn wir sind ja oft viel schlimmer in unserem Kleinglauben.
Wie oft hat Jesus seine Jünger deswegen getadelt? Nicht wegen ihrer Sünden, sondern wegen ihres Kleinglaubens! „Warum seid ich immer so ängstlich? Ich bin doch da!“
Bei Jakob bricht dieser ganze selbstgemachte Lebensentwurf zusammen. Und das liegt er da am Boden, allein in der dunklen Nacht, dem Kopf auf einem Stein.
Und dann redet Gott zu ihm im Traum.
Jetzt wird es für viele Menschen spannend, auch für viele Christen.
Gott redet im Traum. Und das wüschen sich bis heute viele religiöse Menschen, dass sie da etwas Besonderes hören.
Dass Gott im Traum zu Menschen reden kann, das kennen wir auch von anderen Stellen, von Josef, von Paulus und anderen Gestalten der Bibel.
Da werden wir vielleicht manchmal neidisch und denken: Ach, wenn Gott mir doch auch einmal im Traum etwas Spektakuläres sagen würde.
Aber Gott sagt im Traum nichts Neues. Er liefert uns keine Zusatzoffenbarungen. Gott sagt im Traum nichts, was über sein Wort hinausgeht.
Wenn unsere Träume wirr sind und nicht immer so schön wie das Bild von der Himmelsleiter, dann müssen wir gar nicht enttäuscht sein.
Alles, was wichtig ist, hat Gott in seinem Wort gesagt.
Unser Glauben stützt sich nicht auf Träume, sondern auf sein klares Wort.
Das ist eine ganz wichtige Nebenbemerkung.
Gott hat dem Jakob mit diesem Traum nicht Neues gezeigt. Er hat sein gegebenes Wort bestätigt.
Die Herrlichkeit Gottes, die Liebe Gottes, der versprochene Segen: Das wird in diesem wunderschönen Traumbild bestätigt.
Und das Wunderbare ist weniger der Inhalt, als vielmehr der Zeitpunkt:
Als der Jakob am Boden liegt – in mehrfachem Sinne – da bestätigt ihm Gott seine Verbundenheit.
Der Jakob hat große Fehler gemacht, er hat seinen Vater betrogen, er hat sich mit List etwas geholt; er hat den ganzen Familienfrieden zerstört; er muss fliehen.
Jetzt müsste man eigentlich eine Standpauke erwarten. Aber Gott in seinem Erbarmen zeigt ihm seine Liebe.
Schon hier im ersten Buch der Bibel zeigt sich Gottes Wesen, zeigt sich das, was Jesus uns enthüllt hat.
Gott liebt den Sünder. Gott nimmt den Gescheiterten an.
Der gute Hirte ist da im finsteren Tal und sucht das verlorene Schaf.
Das sind keine frommen Wunschbilder, das ist das Wesen Gottes – von der ersten bis zur letzten Seite unserer Bibel.
Der Himmel ist offen über und Gott hat eine ganze Schar von Engeln im Einsatz, um uns zu umgeben.
Und es bleibt ja nicht bei diesem schönen Bild.
Gott sagt: Ich bin mit dir, und ich bringe dein Leben wieder auf den richtigen Weg.
Aus unserer Sicht passt das ja nicht.
Gott kann doch nicht mit diesem Jakob sein! Der hat doch betrogen, der hat doch alles falsch gemacht.
Und ausgerechnet an so einen Menschen bindet sich Gott!
Aber was heißt das denn für uns?
Ich kann mich doch auch fragen: Dass Gott mit mir sein will, obwohl ich ihm oft nicht treu bin, obwohl ich ihm oft nicht gehorcht habe, obwohl ich oft falsche Mittel anwende und ihm nicht geglaubt habe.
„Gott ist gegenwärtig.“ Wir singen das so schön in unseren Gottesdiensten, aber das gilt doch auch für unsere Nachtstunden, dass er da ist,
wenn sie uns hineinschieben in den OP (Operationssaal): Ich bin da!
Wenn sich alle anderen von uns abwenden: Ich bin da!
Wenn uns liebe Menschen wegsterben: Ich bin da!
Wenn ich einen schlimmen Fehler gemacht habe: Ich bin da!
Der uns kennt mit unseren Krankheiten, der das Innenleben unserer Seele kennt, der unserer Depressionen kennt, der sagt: Ich bin da!
Das sagt er nicht in Glanzstunden, auf Höhenflügen, in Masseneuphorie seiner Kinder.
Das sagt er in Nachtstunden. Und deshalb ist diese Geschichte von Jakob und der Himmelsleiter so wichtig und so wertvoll.
Gott setzt mit seinem Segen nicht noch eins drauf in guten Zeiten, sondern er trägt uns in den schwächsten Momenten, wenn wir auf dem Boden liegen und unsere Gedanken uns drücken wie ein Stein unter dem Kopf.
Gott ändert sein Wort nicht, auch wenn wir die Sache verbockt haben.
Ich will mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Der Segen, den er für Jakob vorgesehen hatte, gilt. Gottes Wort bricht nicht.
Und Paulus sagt das einmal so schön im Blick auf Jesus:
In ihm ist das Ja auf alle Gottesverheißungen. (2Kor 1,20)
Es bleibt dabei:
Gott bindet sich an zwielichtige, scheiternde Menschen.
Und das kann man sich nicht erkaufen oder erarbeiten, sondern das gibt es nur gratis, das kann man nur annehmen.
(Nichts anderes hat Martin Luther wieder ganz neu erkannt.)
Das ist der Segen, den dieser Versager oder Trickser Jakob hier wiederbekommt.
Das ist der Segen, mit Sie hier wieder und wieder die Kirche verlassen sollen, dass sich der lebendige Gott an Sie bindet.
Dass er mit ihnen mitgeht, dass er bei ihnen sein will, obwohl immer wieder so viel Unordnung in unserem Leben ist.
Wenn wir unsere Zeit betrachten, dann sehen wir, wie ich-bezogen wir leben. Wir vertrauen auf unsere Kräfte, unser Tun, unsere Ideen.
Wir meinen, dass wir eine Welt schaffen, wie sie noch niemand gesehen hat. Dabei haben wir jetzt schon die Zukunft unserer Kinder verpulvert.
Auch die Klima-Krise gehen wir so an.
Natürlich müssen wir etwas tun; aber tun wir doch nicht so, als könnten wir das ohne Gottes Hilfe!
„Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder und wissen gar nicht viel…“
Unsere Vorfahren haben das nicht nur gesungen, sondern immer auch gewusst: Unser Ich ist kommt schnell an seine Grenzen.
Wenn wir die Worte Gottes an Jakob anschauen, dann fällt dieses starke Ich Gottes auf:
Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten.
Ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Nehmen Sie dieses Ich Gottes mit nach Hause. Er will der Starke in Ihrem Leben sein.
„Ich will dich führen.“ „Ich will dich leiten.“ „Ich will dich trösten.“
Und wir hören das ja genauso schön beim Propheten Jesaja:
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ (Jes 43,1)
Ich bin bei dir. Weiche nicht; ich bin dein Gott.
Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ (Jes 41,10)
Fünfmal: Ich, ich, ich.
Der lebendige Gott will die Mitte Ihres Lebens sein.
Und wenn wir ihn wirken lassen, dann wird sein Segen sich entfalten – auch wenn wir immer wieder unsere Grenzen spüren.
Es scheint so, als ob Gott in seiner Geschichte mit den Menschen immer wieder diejenigen ausgewählt hat, deren Grenzen sichtbar waren.
Der Petrus, der sich auch für etwas Besonderes hielt, aber so kläglich gescheitert ist, als es eng wurde.
Der David, dieser hochbegabte Kerl und Frauenliebling, der so viele Fehltritte begangen hat.
Der Paulus, der in seinem Eifer erstmal in die völlig falsche Richtung lief.
Und unser Jakob heute, bis er da am Boden liegt mit dem Kopf auf einem Stein, und Gott sagt:
Ich bin doch bei dir. Ich geh doch mit dir einen Weg weiter. Der Himmel über dir ist doch offen.
Vielleicht brauchen wir für wahre Dankbarkeit solche Erfahrungen in der Tiefe, die sich keiner wünscht.
Jakob jedenfalls wacht morgens gestärkt auf und geht seinen Weg weiter, nicht fehlerfrei, wie wir später lesen, aber doch mutig und erfolgreich.
Und er baut einen Steinaltar für Gott, als Zeichen dafür, dass er Gottes Hilfe gespürt hat.
Uns nüchternen Protestanten erscheint so etwas ja immer verdächtig, auch wenn Katholiken immer wieder Heiligtümer bauen.
Eines daran ist aber gut:
Solchen dankbaren Momenten kann man auch ein Zeichen setzen;
Zeichen, die uns immer wieder daran erinnern, dass Gott da war. Zeichen, die uns auch in schweren Zeiten immer wieder sagen:
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Amen.