Josua 3, 5-17*

Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der Herr Wunder unter euch tun. Und Josua sprach zu den Priestern:

Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her!

Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.

Und der Herr sprach zu Josua:

Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein.

Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich:

Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen.

Und Josua sprach zu den Israeliten:

Herzu! Hört die Worte des Herrn, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter [und die anderen Völker]:

Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan.

Und die Priester, die die Lade des Bundes des Herrn trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan.

Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.

 

Liebe Gemeinde,

ich kann Sie doch nicht gleich zu Beginn dieses Jahres über den Jordan schicken!

Das ist nämlich das Thema unserer heutigen Geschichte, und dorthin will uns der Bericht aus dem Buch Josua auch mitnehmen: Über den Jordan hinüber in das Gelobte Land.

 

„Über den Jordan gehen“:  Das ist bei uns ein geflügelter Ausdruck geworden, der für viele auch seine biblische Grundlage verloren hat.

„Über den Jordan“: Das sagt man, wenn ein Gegenstand kaputtgegangen ist und weggeworfen wurde.

„Über den Jordan gegangen“: Das sagt man auch von Menschen, die gestorben sind.

„Crossing Jordan“: Das ist eine amerikanische Krimiserie, in der die Pathologin Jordan Cavanaugh knifflige Todesfälle löst.

 

Es ist also überaus gefährlich, den Jordan zu überqueren. Und das liegt weniger an der Beschaffenheit dieses recht idyllischen Flusses, als an dem Land, das sich für die Israeliten dahinter eröffnete. Der Jordan zieht sich bis heute von den Golanhöhen gerade nach Süden bis ins Tote Meer. Die Israeliten hatten unter Mose Ägypten verlassen, wo sie Sklaven waren. Auf ihrer langen Reise ins von Gott versprochene, ins „Gelobte Land“ zogen sie mit vielen Umwegen nach Nordosten und kamen schließlich am Jordan an. Er ist das letzte Hindernis, das es zu überwinden gilt. Direkt hinter ihm beginnt das Gelobte Land, das Land, in dem Milch und Honig fließen, das Land, in dem Israel seinen Platz und seine Ruhe findet.

 

Mose durfte diese letzte Etappe des Weges nicht mehr erleben. Er starb kurz zuvor. Er konnte noch vom Berg aus einen Blick auf das Gelobte Land werfen. Aber es war sein Nachfolger Josua, der diesen letzten Schritt mit Israel ging.

Mit der Überquerung des Jordan ließen die Israeliten die Wüste hinter sich und kommen ins Kulturland, aus der Gefahr in die Sicherheit, aus der Fremde in die gottgegeben Heimat.

Und es bleibt nicht bei dieser historisch einzuordnenden und geopolitischen Bedeutung des Jordans für Israel.

Nein, die Überquerung des Jordan wird zum Bild für den Übergang aus diesem Leben ins das ewige Leben, zur Schwelle vom Diesseits zum Jenseits.

Der Jordan wird in der Mystik zu einem christlichen Styx, also zum Fluss der das himmlische Paradies von der irdischen Welt trennt.

 

Wir sehen also, welch große symbolische Bedeutung der Jordan hat. Es ist für die Bibel nicht einfach nur ein Fluss.

Wer den Ausdruck „über den Jordan gehen“ nur als Metapher für den Tod verwendet, der unterschlägt die zweite Dimension dieses Bildes, nämlich die Ankunft auf der anderen Seite, das Gelobte Land, das Jenseits.

Der Jordan hat für den Glauben seine Bedeutung allein davon, was auf seiner anderen Seite folgt.

Er steht für die Grenze von Diesseits und Jenseits, von Fremde und Heimat, von Gottesferne und Gottesnähe.

 

Und vielleicht gewinnt dadurch die schlichte Episode ganz neue Bedeutung, die uns das Evangelium des heutigen Sonntags berichtet.

Jesus wird im Jordan getauft.

Vielleicht haben Sie sich schon wie viele moderne Christen gefragt: Was ist eigentlich das Besondere an dieser Taufe Jesu durch Johannes den Täufer?

Vielleicht haben Sie sich schon dieselbe Frage gestellte wie Johannes der Täufer: Warum muss Jesus eigentlich getauft werden?

Wenn die Taufe Sünden vergibt, warum? Denn Jesus ist ohne Sünde!

Wenn die Taufe mit Gott verbindet, warum? Jesus ist doch schon Gottes Sohn!

Warum lässt sich Jesus denn eigentlich taufen? Das passt gar nicht so leicht in unser Bild von Jesus.

 

Wenn wir aber im Hintergrund wissen, welche Bedeutung der Jordan hat, dann wird hier einiges deutlich:

Der Jordan markiert die Grenze zwischen Erde und Himmel, zwischen Gottesferne und Gottesnähe, zwischen Wüste und Paradies.

Und es ist Jesus, der in diese Grenzlinie aus Wasser hineintritt.

Wie gesagt: Der Jordan ist für die Bibel kein gewöhnlicher Fluss.

Das hat mit Leben und Tod, mit Heiligkeit und Sünde, mit Fremde und Heimat zu tun. Und Jesus stellt sich schon zu Beginn seiner Wirksamkeit mit 30 Jahren genau in diese Grenzlinie hinein.

Das ist keine nette Wasser-Geschichte; das ist eine Geschichte von Leben und Tod.

 

Doch kehren wir zurück zur ursprünglichen Erzählung vom Volk Israel und Josua!

Das Volk Israel steigt ja nicht einfach durch den Jordan hindurch. Es ist ja ein ganz sonderbares Ereignis.

 

Gott befiehlt dem Josua, dass die Priester die Bundeslade voraustragen sollen.

Die Bundeslade, das ist so etwas wie die zeichenhafte Gegenwart Gottes bei seinem Volk. Es war faktisch eine Kiste mit den Tafeln, auf denen die 10 Gebote standen. Gott ist bei seinem Volk also nicht gegenwärtig durch goldene Statuen oder Götzenbilder wie bei anderen Völkern, sondern allein durch sein Wort und seine Weisung.

 

Diese Bundeslade, diese Kiste mit Tragestangen, sollte also von den Priestern vorausgetragen werden.

 

Die Priester sollen mit der Bundeslade in den Fluss schreiten. Und als sie mit der Bundeslade im Fluss stehen, da weichen die Wasser und die Israeliten können sicher durch den Fluss ins Gelobte Land gehen.

 

Diese Episode erinnert alle Bibelkenner natürlich an das erste große Wunder Gottes an Israel, wie sie unter Mose durch das Rote Meer zogen und die Wasser wichen, und sie so den Ägyptern entkamen.

Diese Ähnlichkeit zu Mose ist gewollt. Sie soll die Autorität seines Nachfolgers Josua bestätigen. Gott sagte zu Josua:

Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein.

 

Auch wenn der Jordan eine viel „kleinere Nummer“ ist als das Schilfmeer, so ist die sichere Durchquerung des Wassers doch auch eine Rettungserfahrung und eine Leitungserfahrung mit Gott.

 

Wir können aus unserer großen zeitlichen Distanz sehen:

Es ist eigentlich zweitrangig, welche Gewässer wir durchschreiten, ob das nun Meere oder Flüsse sind, ob das Abgründe oder finstere Täler sind:

Entscheidend ist, dass Gott uns leitet und rettet.

 

Und noch eine sehr nüchterne und entzaubernde Einsicht, die uns vielleicht erschreckt:

Das Personal ist austauschbar. Es geht am Ende nicht um Mose, Josua oder Johannes den Täufer.

Es geht darum, dass das Volk Gottes durchkommt und sein Ziel erreicht.

Wer immer da am Wasser im Namen Gottes wirkt und die Menschen leitet: Es geht am Ende um die Rettung, um die Erlösung, um das ewige Heil – und nicht um einzelne wichtige Personen oder Helden.

 

 

Wir könnten eine ganze Menge von Politikern, Leitern, Künstlern und auch uns selbst fragen: Geht es bei allem Einsatz um das Wohl der anderen, um die eigentlichen Ziele oder geht es darum, uns ein eigenes Denkmal zu setzen. Was steht im Mittelpunkt? Die Rettung, das Weiterkommen, die Inspiration oder meine eigene Rolle?

 

Die Geschichten vom Jordan holt alle runter vom hohen Ross:

Es ist nicht Mose, der sein Volk rettet, sondern Gott. Es ist nicht Josua, der den Jordan durchbricht, sondern Gottes Gegenwart. Es ist nicht Johannes der Täufer, der die Menschen erlöst, sondern Jesus Christus.

 

Das Wasser des Jordan weicht nicht vor Josua, nicht vor der Autorität der Priester, nicht vor der moralischen Würde des Volkes. Es weicht allein vor der Gegenwart des lebendigen Gottes – in seinen heiligen Geboten.

Wenn wir in die Jordan-Tiefen unserer schwierigen Zeiten treten, dann retten uns nicht Wundertaten, nicht mächtige Figuren, nicht eigener Mut, sondern dann rettet uns nur Gottes heiliges Gebot.

Das zeigt uns diese wunderbare Geschichte von den Israeliten am Jordan.

Die Wasser weichen vor der Bundeslade. Die Schritte werden geleitet von Gottes Geboten, nicht von menschlichen Ideen oder Phantasien.

Wie gut, dass wir das am Anfang eines Jahres hören!

 

Mose, Josua, Johannes:

Die Diener Gottes sind austauschbar. Nicht austauschbar ist die Gegenwart Gottes.

Für die alten Israeliten hat diese Gegenwart Gottes ihre höchste Form in den Geboten, die Gott offenbart hat.

Für uns hat diese Gegenwart Gottes ihre allerhöchste Form in der Person Jesu Christi.

Und es sind beide, die Bundeslade und Jesus von Nazareth, die in die Wasser des Jordans hineingehen und den Weg freimachen, die die Grenze von Diesseits und Jenseits überschreiten, die den Weg in die Freiheit und in Gottes Arme öffnen.

 

Wir können am heutigen Sonntag nochmals ganz neu unser Verständnis von der Taufe schärfen.

Taufe ist kein Segensritual an kleinen Kindern. Taufe ist kein nettes Spiel mit Wasser.

Taufe ist das Durchschreiten des Jordan an der Hand Jesu. Taufe ist die Passage vom Diesseits zum Jenseits, von der Sünde zur Heiligkeit, von der Gefahr zum Ewigen Leben.

Taufe heißt, dieses irdische Leben mit allen seinen Gefahren und Unsicherheiten hinter sich zu lassen:

Jesus sagt:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist schon vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. (Joh 5,24)

 

Oder mit dem Bild von heute gesagt: Er hat den Jordan schon überschritten.

 

Jesus hat sich bei dieser Passage nicht nur die Füße nassgemacht. Jesus hat für diesen Übergang sein Leben hingegeben. Das zeigt den ganzen Ernst dieser Passage, für die der Jordan als Bild steht.

 

Liebe Gemeinde!

Wir werden immer wieder an Grenzen stoßen:

An Landesgrenzen und Grundstückgrenzen, die wir nicht einfach übertreten können.

Wir werden an finanzielle Grenzen stoßen, und wir können uns manches nicht leisten.

Wir werden immer wieder an Grenzen stoßen:

Grenzen unseres Denkens, unserer Kräfte,

Grenzen unserer Gesundheit.

Wir werden immer wieder vor Grenzen stehen –

und letztlich an der Todesgrenze.

Aber keine Angst: Der lebendige Gott hat schon für die Grenzüberschreitung gesorgt.

Sein Wort hat Bestand und trägt.

Sein Sohn geht voraus und nimmt alle Gefahren auf sich.

Wo er ist, da weichen die Wasser, welche auch immer das sind: Die Wasser des Jordans, des Roten Meeres, die Wogen unserer Angst oder Einsamkeit, die Wellen des Krieges und des menschlichen Versagens.

 

Ja, ich schicke Sie heute wirklich über den Jordan: Im Wissen, dass wir mit Jesus jede Grenze im Leben überschreiten können und in der Gewissheit, dass wir drüben das Gelobte Land erreichen, wo Gott schon auf uns wartet.

Amen

1. Sonntag n. Epiphanias