Lukas 21,25-33

Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,

und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.

Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.

Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:

wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist.

So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.

Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.

 

 

Liebe Gemeinde am 2. Advent,

da strömen eine Menge Zeichen auf uns Menschen ein jeden Tag.

Da kommen jeden Tag von außen so viele Bilder und Informationen und Stimmungen auf uns zu, dass wir ihrer gar nicht Herr werden.

Es wird viel geredet von Adventszeit als besinnlicher Zeit; aber es ist doch keinesfalls so, dass jetzt weniger Bilder und Botschaften auf uns einströmen als sonst – ja vielleicht noch mehr in unseren über-dekorierten Städten.

 

Und auch Jesus spricht heute von Zeichen. Wir haben es gehört: „Es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein.“ Oder: „Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:

wenn sie jetzt ausschlagen.“

 

Zeichen über Zeichen! Informationen über Informationen! Manchmal geht es mir so, dass ich mich ab liebsten abschirmen würde von dieser Flut von Zeichen, Bildern und Videos. Aber so leicht ist das nicht. Die Neugier lässt mich doch regelmäßig aufs Handy schauen. Die Nachrichten am Abend und die Zeitung am Morgen kann ich mir nicht entgehen lassen. Und manche Informationen kriege ich von anderen um die Ohren geknallt, ob ich sie will oder nicht.

Wir können uns nicht gegen die Zeichen wehren, die auf uns einwirken. Wir müssen auch auf die Signale achten, die andere senden, denn wir sind kommunikative Wesen.

Aber eines, eines können wir tun. Und das will uns Jesus heute lehren:

Lernt, die Zeichen zu sortieren! Lernt, mit den Zeichen umzugehen! Lernt, die Zeichen richtig einzuordnen!

 

Denn nicht jedes Zeichen, das uns erscheint, ist von gleicher Bedeutung; und nicht jede Information, die auf uns einströmt, tut uns gut.

 

Es gibt verschiedene Arten von Zeichen. Das möchte ich uns heute klarmachen.

 

I

Jesus spricht am Anfang von Zeichen an Sonne und Mond und Sternen. Das sind kosmische Zeichen. Das sind Himmelsphänomene, die auffallen, Unregelmäßigkeiten, die sich der Mensch nicht erklären kann, die ihn verunsichern. Deshalb wird auf Erden wird den Völkern bange sein, wie Jesus sagt. Ja, es gibt sie, diese Erscheinungen, die der Mensch nicht in der Hand hat. Sonnenfinsternis, Kometen, Blutmond: Das alles haben Menschen schon immer als Fingerzeig aus dem Jenseits angesehen. Und auch wenn die Naturwissenschaft heute vieles erklären und voraussagen kann, sondern bleiben sie doch da, die unvorhersehbaren, verheerenden Naturphänomene, die Angst, Schrecken und Verderben bringen: Tsunamis und Taifune, Sturzregen und Vulkanausbrüche.

Und es ist heute genauso wahr wie zu den Zeiten Jesu:

Den Menschen ist angst und bange; und sie werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.

Es gibt sie, diese übernatürlichen Zeichen, die nicht in unserer Hand liegen. Zeichen, die uns wohl oder übel zu verstehen geben, dass es keine absolute Sicherheit für diese Erde gibt und dass diesem Planeten irgendwann ein Ende gesetzt ist.

Derartige Zeichen sind – Gott sei Dank – selten bei uns, sodass wir im Alltag eher an das kleine Leben um uns herum denken als an das Ende unseres Planeten, wie immer dies auch aussehen wird.

 

II

Dann aber spricht Jesus auch von ganz gewöhnlichen Zeichen. Die verursachen bei uns keine Angst und Schrecken, sondern geben uns eher ein Gefühl der voraussehenden Sicherheit.

„Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist.“

Wenn die Bäume neue Blätter ansetzen, dann ist Frühling und dann kommt der Sommer. Das wissen wir aus Erfahrung. Wenn der Feigenbaum neu ausschlägt, dann kommt auch bald die Frucht und damit die Hoffnung auf Ernte.

Wir leben alle – bewusst oder unbewusst – von solchen natürlichen Zeichen, denn sie geben unserem Leben Stabilität und machen es planbar.

Wenn es – wie jeden Winter – draußen kalt wird, machen wir die Heizung an.

Wenn es – wie jeden Winter mindestens einmal – im Hals kratzt, wissen wir, dass eine Erkältung kommt und können vielleicht noch etwas dagegen tun.

Wenn die Tage wieder länger werden, und es länger hell bleibt, dann wissen wir, dass der Winter langsam hinter uns liegt.

Wir mögen solche Zeichen, weil sie uns Sicherheit geben. Ganz unbewusst gehen wir von vielen solcher Zeichen aus. Sie machen unser Leben planbar und sicher.

 

III

Und dann gibt es noch die menschengemachten Zeichen. Es ist nicht nur die Natur oder das Übermenschliche, das uns Zeichen setzt, sondern manchmal sind es allzu menschliche Zeichen, die wir uns und anderen vorsetzen.

Die Adventszeit ist selbst so eine Zeit selbst inszenierter Zeichen, die wir uns vor die Nase setzen. Wir zeigen uns sozusagen selbst auf vielerlei Weise, dass Weihnachten nahe ist, indem wir Sterne aufhängen und Kerzen anzünden. Schöne Zeichen sind das in der Regel, aber doch auch begrenzte oder gar völlig bedeutungslose Zeichen, wenn wir an kosmische Katastrophen oder schon innerweltliches Kriegsgeschehen denken.

Was macht es für einen Unterschied, wie viele Adventskränze beim Bazar hergestellt wurden, wenn ein Komet einschlägt?

Wie bedeutungslos wird der Duft des Glühweins, wenn ein Attentat den Weihnachtsmarkt erschüttert?

Unsere menschengemachten Zeichen sind nett; sie tun uns auch wohl, aber wir sollten sie immer auch als das sehen, was sie sind: menschengemacht und damit vergänglich und begrenzt.

 

„Die Vorzeichen mehrten sich“ heißt es bei Thomas Mann über die Adventszeit im Hause Buddenbrook.

Die Vorzeichen mehrten sind. Und so findet der kleine Hanno neben dem Adventskalender und einem aufgehängten Bild von Knecht Ruprecht eines Morgens knisterndes Flittergold auf seiner Bettdecke und dem Bettvorleger. Und dann kam „alljährlich und doch auch jedes Mal überraschend“ Knecht Ruprecht mit dem Sack zu Besuch und ließ den kleinen Jungen stotternd das Vaterunser aufsagen und lässt, weil es gut ging, etwas Zuckergebäck da; und wie Thomas Mann dann mit Augenzwinkern zufügt, dann allerdings auch den ganzen Sack, den der beauftragte Barbier der Buddenbrooks mit seinem angeklebten Rauschebart im Eifer des Gefechts vergisst.

„Die Vorzeichen mehrten sich.“

Thomas Mann gibt diesen menschengemachten vorweihnachtlichen Zeichen im Hause Buddenbrook fast den kosmischen Charakter unserer Jesusworte, und doch bleiben diese Zeichen allzu menschliche Aktionen, die ein Kind wie den kleinen Hanno faszinieren können, aber beim Erwachsenen doch auch ein Schmunzeln auslösen.

Es bleibt dabei: Es sind menschgemachte Zeichen, die mehr oder weniger durchschaubar sind.

Es gibt sie auch in groß: Als Verführung und Desinformation großer Machthaber, die ihr Volk manipulieren, als Beeinflussung und Leitung der Konsumenten, als Tricks, um andere Menschen irgendwie zufriedenzustellen.

Es bleibt dabei: Es sind menschgemachte Zeichen.

 

Liebe Gemeinde,

wir haben schon viel geschafft, wenn wir die Zeichen, die auf uns einströmen, unterscheiden und einordnen. Wir haben schon viel gewonnen, wenn wir manche wichtig und übergroß erscheinenden Zeichen durchschauen und entzaubern können. Dazu lädt uns Jesus heute ein; und die Adventszeit ist eigentlich die beste Zeit, die Zeichen, die auf uns einströmen, zu sortieren.

 

Sortieren und abstufen können wir aber nur, wenn wir vom wirklich Wichtigen ausgehen. Und auch das stellt uns Jesus heute vor Augen.

Über allen Zeichen steht er! Über allen Zeichen, das heißt über den kosmischen Zeichen, den natürlichen Zeichen und den menschengemachten Zeichen steht unübersehbar er!

 

Selbst über dem kosmischen Chaos am Ende der Zeit steht er. Dann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Über jeder denkbaren kosmischen Katastrophe steht Jesus.

 

Und diese sonderbare Selbstbezeichnung Jesu als „Menschensohn“ hat einen tiefen Sinn. Sie stammt vom Propheten Daniel (7,13). Der sah nach allerhand gruseligen und beängstigen Erscheinungen über dem Erdreich zum Schluss endlich ein menschliches Antlitz vom Himmel her erscheinen. Nach Angst und Schrecken, nach Gottesferne, nach allen möglichen offenen Fragen, erscheint da am Ende einer mit einem menschlichen Angesicht, ein Menschensohn, einer, der aussieht wie du und ich, einer, in dem ich mich wiederfinde, einer, in dem die Gnade und Menschenliebe Gottes erscheint. Darum „Menschensohn“. Das alles schwingt mit in diesem alten bedeutungsschweren Titel.

Dann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.

 

Den Menschen wird in so einer Situation logischerweise angst und bange sein. Aber Jesu Wort ist klar:

Wenn überall Panik und Geschrei ist, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Jesus steht über allem denkbaren Zerbruch. Das ist die Botschaft!

Jesus erscheint, wenn alles zerbricht. Ob das nun unser Planet ist, oder dein Leben, wenn das nun dein Lebensentwurf ist oder deine Gesundheit.

 

Jesus will keine paranoiden Nachfolger, die mit Angst und Schrecken auf jedes Himmelszeichen starren. Jesus will keine jammernden Pessimisten, die überall den Weltuntergang wittern.

Jesus will frohe und sichere und aufrechte Nachfolger, die ihren Blick nach vorne und nach oben richten, weil das Beste noch kommt.

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

 

Christen sollen immunisiert sein gegenüber menschlicher Stimmungsmache und Beeinflussung.

Christen sollen gelassen sein gegenüber kosmischen Ereignissen.

Christen sollen sogar ganz nüchtern mit ihrer Vergänglichkeit umgehen.

Auch die biologischen Prozesse, die uns so vertraut und sicher sind, gelangen an ein Ende.

Der Feigenbaum, der jedes Jahr ausschlägt, wird einmal nicht mehr ausschlagen.

Mein Körper, der jeden Morgen aus dem Bett aufsteht, wird einmal nicht mehr aufstehen.

Mein Verstand, auf den sich so viel setzt, wird einmal trüb.

Jesus blendet das gar nicht aus. Er sagt:

 

Himmel und Erde werden vergehen – und damit alles, was darinnen ist.

 

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen. Seine Botschaft steht über aller Vergänglichkeit. Sein Wort übersteigt alle Zeichen, die auf uns einwirken – egal ob menschengemacht oder naturwissenschaftlich erklärbar oder apokalyptisch beängstigend.

Zeichen sind Schall und Rauch. Gottes Wort bleibt in Ewigkeit, weil es die Wahrheit ausdrückt, die vor der Entstehung der Welt da war und noch lange nach Ende dieser Welt da sein wird.

 

Wenn diese Welt zusammenbricht, dann steht er da. Und wenn meine kleine Welt zusammenbricht, die ich mir selbst zusammengebaut gebaut habe, dann steht er auch da.

Das ist der Zukunftsblick, den wir haben sollen.

Das zeichnet christlichen Advent aus – mehr als alle Kerzen, Adventskalender und Nikoläuse.

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!

Üben wir diese Blickrichtung ein, damit wir den unendlich vielen und schillernden Zeichen dieser Welt nicht auf den Leim gehen.

Lassen wir uns nicht vom Einerlei des Alltags bestimmen.

Schauen wir auf ihn!

Weg von den finanziellen Sorgen!

Weg von der Krankheitsnot!

Weg von der Einsamkeit!

Weg von den Sorgen um meine Familie!

Weg von denen, die mir jeden Tag die Welt erklären wollen.

Weg von der Angst vor dem Sterben!

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!

Das Glück dieser Welt und auch das Elend dieser Welt, sie werden vergehen. Der Menschensohn kommt!

Das ist Advent. Nicht nur im Dezember.

Amen.

2. Advent – Pfr. Dr. Jonas