Jesaja 35, 3-10

Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!

Saget den verzagten Herzen: „Seid getrost, fürchtet euch nicht!

Seht, da ist euer Gott. Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“

Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.

Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.

Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein.

Wo zuvor Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird.

Kein Unreiner darf ihn betreten, nur sie werden auf ihm gehen,

auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.

Es wird kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen;

wilde Tiere sind dort nicht zu finden,

sondern die Erlösten werden dort gehen.

Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein.

Freude und Wonne werden sie ergreifen,

und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Liebe Gemeinde!

Ich erinnere mich gut an einen Heiligen Abend, als ich noch Vikar war. Ich hatte damals noch den ersten Gottesdienst am Heiligen Abend zu halten und konnte direkt danach den Urlaub antreten. Das heißt, ich konnte nach dem Familiengottesdienst am Nachmittag noch mit dem Auto in meine Heimat zu meiner Familie fahren. Die warteten mit dem Abendessen auf mich.

Heiliger Abend, 17 Uhr: Das Auto gepackt. Die Arbeit hinter mir. Ich fuhr los. Und vor mir lagen freie und auffällig leere Autobahnen. Es war eine wunderbare Fahrt, die wie im Fluge verging. Im Radio liefen die schönsten Weihnachtslieder. Die Lieben erwarteten mich. Freie Feiertage lagen vor mir. Und wir gesagt: Die Autobahnen waren frei. Es war ein wunderbares Fahren.

 

Ich erzähle Ihnen das heute nicht, weil ich eine Weihnachtserinnerung mit Ihnen teilen will. Da haben Sie alle bestimmt andere und wahrscheinlich viel spannendere Erinnerungen zu bieten.

Ich erzähle Ihnen von dieser Erinnerung, weil sie ein Bild unseres Bibelwortes verdeutlicht, das wir wahrscheinlich nicht mit Advent oder Weihnachten zusammenbringen würden, ein Bild, das auf den ersten Blick so gar nicht stimmungsvoll und adventlich daherkommt.

Es geht um die Autobahn. Was hat die nun mit dem Advent zu tun?

 

Nun, der Prophet Jesaja stellt uns heute dieses Bild vor Augen. Er sagt:

„Es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird.“

 

Auch wenn Jesaja natürlich nicht von einer modernen Autobahn spricht, so geht es ihm doch um eine breite, sichere, gerade Straße.

Für diese heilige Straße gilt das, was für uns heute auch eine Autobahn auszeichnet: Sie ist frei von Hindernissen. Sie erlaubt freie und sichere Fahrt. Sie hat keine tückischen Kurven, keine Ampeln, keine Hindernisse.

Auf einer Autobahn soll man gut vorankommen. Täler wurden mit Brücken überbaut, Hügel durch Tunnel untergraben. Eben und gerade soll die Fahrt verlaufen. Hier sind nur Fahrzeuge zugelassen, die eine Mindestgeschwindigkeit übertreffen. Hindernisse und störende Fahrzeuge gibt es nicht.

Genauso – entsprechend seiner Zeit – stellt Jesaja diese Bahn dar:

„Kein Unreiner darf diese Bahn betreten, auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; wilde Tiere sind dort nicht zu finden, sondern nur die Erlösten werden dort gehen.“

Die Gefahren und Hindernisse eine Reise im alten Orient sind hier genauso ausgeschlossen wie die Gefahren und Hindernisse einer Autofahrt in der Gegenwart.

Freie Fahrt zum Heiligtum in Jerusalem. Freie Fahrt in Richtung Gott. Freier Zugang für die, die nach Gott suchen.

 

Zum Tempel in Jerusalem führen gefährliche Wege durch die Wüste. Wilde Tiere und Räuber lauern am Wegesrand. Und in Jerusalem selbst schlängelt sich der Weg zum Tempel durch enge Gassen und Winkel. Hier stören andere Pilger, Händler und Wegelagerer. Der Weg zum Heiligtum ist verwinkelt und kompliziert. Da ist viel, was einen ablenken, hindern oder aufhalten kann.

Der Weg zu Gott ist verwinkelt, anstrengend und kompliziert. Er führt steil aufwärts und oft genug ist er uns zu anstrengend. Viele geben auf, bevor sie am Ziel sind.

Vielen ist er zu lang. „Ihre Knie wanken“, sagt Jesaja. Sie haben keine Kraft mehr.

 

Und dagegen nun das Bild der Autobahn:

Eben, ausgeglichen, mit weitem Blick nach vorne, sicher, ohne Hindernisse, breit, so dass man störende Hindernisse überholen kann.

Ja, das wäre doch ein Bild für den Glauben! Kein steiniger Weg, keine enge Pforte, kein dornenvoller Aufstieg, sondern freie Fahrt und freie Sicht zu Gott.

Das wäre es doch! Zu Gott führt eine Autobahn, auf der wir schnell und ohne Zweifel und Sorgen vorwärtskommen und sicher ankommen.

 

Das und nicht weniger stellt uns der Prophet Jesaja vor Augen.

„Es wird eine Bahn da sein.

Die Erlösten des Herrn werden nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein. Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.“

 

Das heutige biblische Symbol für die Adventszeit ist kein Kerzenlicht, kein Kranz und kein Tannengrün, sondern eine vor uns liegende Autobahn, die in voller Breite direkt zu Gott führt.

Was für ein ungewöhnliches Bild! Was für ein profanes Bild! Aber was für ein einfaches klares Bild!

So müsste es doch sein: Unser Glaube und unser Leben. Sicher, klar, und eben – ohne Hindernisse, ohne Störungen und Fragen, ohne Kurven, die die Sicht verhindern!

Aber, ihr Lieben, so einfach ist es nicht, weder im Leben, noch im Glauben.

Wenn wir den christlichen Glauben heute an unsere Konfirmanden als Autobahn ohne Hindernisse und Störungen verkaufen würden, wir würden ihnen falsche Versprechungen machen. So einfach ist es nicht. Das weiß jedes Kind.

 

Und doch stellt uns Jesaja dieses so ungewöhnliche adventliche Bild vor Augen.

I.

Die Vorstellung vom Glauben als freie Bahn zu Gott ist zunächst einmal eine Aufforderung an uns. Sie fragt uns nach dem, was unsere Bahn zu Gott behindert und blockiert. Sie fragt uns: Was sind die Hindernisse, die du auf die Ebene zwischen dir und Gott gestellt hast?

Was hat sich da alles angesammelt auf der Bahn zwischen dir Gott? Was hast du selbst hingestellt, und was haben andere dir in den Weg gestellt?

Was sind da für Hindernisse oder Störungen? Was lenkt dich ab von Gott? Welche falschen Vorstellungen von Gott haben sich eingenistet? Was behindert deinen Weg zu Gott hin? Ist es eigene Trägheit und Bequemlichkeit? Sind es vielleicht Enttäuschungen von Gott selbst, weil er nicht so war, wie wir es wollten? Sind da vielleicht Verletzungen, die uns davor zurückhalten, uns Gott ganz zu öffnen? Sind da andere Menschen, die uns den Glauben an Gott ausreden wollen oder unmöglich gemacht haben?

 

Auf keiner Autobahn dürfen Hindernisse stehen bleiben. Hier darf kein Auto parken. Hier darf niemand seinen Müll abladen. Hier darf niemand einfach unberechtigt stehen bleiben. Auf einer Autobahn muss strenge Ordnung herrschen. Sonst drohen Strafen.

 

Und in dieser Hinsicht ist das Bild von der Autobahn ein wirklich treffendes Bild für die Adventszeit. Wir sollen aufräumen. Nicht nur unsere Wohnungen und Weihnachtsstuben, sondern unsere Bahn zu Gott. Wir sollen unsere Gottesbeziehung reinigen und ausmisten. Wir sollen alle selbstgemachten Hindernisse aus dem Weg räumen.

„Bereitet dem Herrn den Weg!“, sagt der Prophet an anderer Stelle. Und wie kann man einen Weg anders bereiten, als dass man ihn frei macht!

Machen wir uns in dieser Adventszeit frei, von allem, was im Wege steht.

Sie wissen alle am besten selbst, was auf Ihrer persönlichen Autobahn am meisten hindert und stört.

Schaffen wir alles weg, was zwischen uns und Gott steht. Fegen wir den Sand und das Geröll weg, das unsere Tage gefährlich macht. Wischen wir das weg, was unseren klaren Blick nach vorne vernebelt. Schauen wir nicht zu oft zurück, sondern schauen wir nach vorne. Denn wer auf der Autobahn zu viel zurückschaut, fährt früher oder später an die Wand.

 

II.

So wichtig diese Aufforderung zur adventlichen Reinigung unserer Lebensbahn auch ist, so wenig darf ich bei ihr stehen bleiben.

Der Prophet Jesaja sagt ja nicht: „Baut euch selbst eine Bahn zu Gott!“.

Er sagt vielmehr: „Es wird dort eine Bahn sein! Seht, da ist euer Gott! Gott kommt und wird euch helfen.“

 

Gott baut seine Bahn zu uns. Das ist der springende Punkt. Es geht nicht darum, dass wir unsere kleinen Lebenspfade mühevoll zu Gott hin austreten und hoffen, dass wir durchkommen.

Nein, Gott bricht Bahn zu uns hin! Das ist die andere, die grundlegende adventliche Wahrheit, die uns Jesaja heute vor Augen stellt.

Gott bahnt seinen Weg zu uns. Und der ist so breit wie die ausgebreiteten Arme Jesu am Kreuz.

Du kannst zu mir kommen. Du sollst zu mir kommen. Und alles, was dich hindert, räume ich aus dem Weg.

Gott bahnt sich durch die Wirrungen der Geschichte, durch die Schuld der Menschen, durch die Bosheit auch in den Religionen seinen Weg zu uns, in dem sich Jesus auf den Weg macht.

Das Kind in der Krippe ist keine Verzierung für unsere Festtage.

Der Sohn Gottes ist der Erlöser, der dort Hindernisse wegräumt, wo wir nicht weiterkommen.

 

Wenn auf unseren Autobahnen Hindernisse stehen, wenn auf unseren Autobahnen Dinge auf die Fahrbahn fallen, dann können und dann dürfen wir sie nicht selber wegräumen. Das wäre viel zu gefährlich!

Da kommt der Streckendienst und räumt für uns auf.

Da kommt der Streckendienst und stellt Warnschilder auf.

Für unsere Sicherheit auf der Autobahn sorgen andere.

Und für unseren sicheren Weg zu Gott hin sorgt auch ein anderer.

Jesus Christus, der göttliche Streckendienst.

„Es wird kein Löwe sein und kein reißendes Tier auf dieser Bahn sein.“

Nicht, weil wir die Gefahren von Sünde und Bosheit weggeräumt haben – das könnten wir gar nicht –  sondern weil unser Erlöser sie weggeräumt hat und immer wieder wegräumt.

 

Er macht den Weg frei. Er macht die Bahn weit. Und er öffnet uns den Blick. Das ist die entlastende und erleichternde Botschaft, die dem Bild von Gottes breiter Autobahn verbunden ist.

Darum heißt es:

Saget den verzagten Herzen: „Seid getrost, fürchtet euch nicht!“

Darum heißt es:

Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!

 

Wer den Weg vor sich sieht, wer freien Blick hat auf eine ebene Strecke, der kommt leichter voran, auch wenn er hinkt oder humpelt. Denn er hat das Ziel vor Augen!

Gott breitet seine Bahn vor uns aus, damit wir bei ihm ankommen.

Gott macht den Weg frei, damit wir nicht bei uns selbst stehenbleiben.

Gott gibt seine Richtung vor, damit wir nicht in unseren Ideen gefangen bleiben.

Bleiben wir also nicht stehen! Sondern beschreiten wir diesen Weg vor Weihnachten und darüber hinaus.

 

Unsere adventlichen Strecken und Lebensabschnitte mögen unser immer wieder eher vorkommen wie dornige Wege denn als breite, sichere Autobahnen.

Aber diese dornigen Wege hat ein anderer ganz bewusst für uns beschritten, damit wir uns dort nicht verhaken.

Wie heißt es so schön im Lied:

„Maria durch ein Dornwald ging. Kyrieleison.

Da haben die Dornen Rosen getragen. Jesus und Maria.“

Hier wird jeder noch so schmerzhafte Weg sicher und heil.

Hier wird jede noch so hoffnungslose Sackgasse zum Ausweg.

Bleiben wir also selbst mit wankenden Knien nicht stehen.

Schauen wir nach vorne auf ihn, und bitten wir ihn mit einem anderen Adventslied:

„Richte du auch eine Bahn / dir in meinem Herzen an!“ (EG 12,4)

Amen.

2. Advent – Pfr. Dr. Jonas