2 Kor 3,3-6

Es ist offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid durch unsern Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen.

Solches Vertrauen aber haben wir durch Christus zu Gott.

Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

 

Liebe Gemeinde,

der Apostel Paulus macht das sehr gut:

Wir werden leicht alle auf die eine Seite gezogen. Wenn er hier die Gegensätze aufbaut zwischen steinernen Tafeln und Herzen, zwischen Buchstabe und Geist, zwischen Töten und Lebendigmachen, dann ist doch völlig klar, wo wir stehen wollen.

Niemand von uns will sein Christsein verstehen als versteinerte Form von Moral, von kaltem Gehorsam und aussichtsloser, rückwärtsgewandter Haltung.

Alle wollen wir herzliche Menschen sein, lebendig, warm und mit einer Zukunft mit Gott und den Menschen.

Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig: Diese Zuspitzung von Paulus ist so stark, dass sie eigentlich gar keine andere Reaktion auslösen kann:

Wir wollen nicht auf die Seite des Buchstabens und des Todes gehören, sondern natürlich auf die Seite des Geistes und des Lebens.

Die Alternative scheint klar und deutlich zu sein.

Gut gemacht, lieber Paulus, deine rhetorische Stoßrichtung ist klar, und sie wirkt. Gut gemacht, liebe Gemeinde, ihr denkt richtig.  Die Botschaft kam an, und die Predigt kann hier schon aufhören.

 

„Amen“ sage ich hier aber noch nicht, liebe Gemeinde, und Sie ahnen es:

So leicht kann ich es uns nicht machen. Denn der vermeintlich so klare Gegensatz von Buchstabe und Geist, von Gesetz und Leben, von Stein und Herz muss natürlich in seinem Verständnis vertieft werden.

So klar ist der Gegensatz nicht, wenn wir die Dinge unterscheiden, die Paulus meint. So klar ist der Gegensatz nicht, wenn wir uns zuordnen.

 

I

Wenn wir von steinernen Tafeln des Gesetzes hören und lebendigem Geist, dann öffnet sich vor unserem inneren Auge wohl unweigerlich der Gegensatz von Altem Testament und Neuem Testament, vom alten, weißbärtigen Mose und einem jugendlichen lebensnahen Jesus, von strengen Regeln des Judentums und der Freiheit eines Christenmenschen. Diese Aufzählung war bewusst so plakativ, damit Sie merken, dass es so einfach nicht ist.

Ein gesetzlicher, versteinerter Buchstabenglaube ist nicht gleichzusetzen mit dem Glauben des Alten Testaments, sondern findet und fand sich durchaus auch in christlichen Kreisen.

Und ein lebendiger vom Geist Gottes durchwehter Glaube leuchtet uns auch aus dem Alten Testament entgegen. Denken wir nur an den Tagesspruch von heute vom (alttestamentlichen) Propheten Micha: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott (Mi 6,8).“

 

Nicht von steinernen Tafeln und ehernen Gesetzen, Beziehung und Liebe und Haltung!

Oder denken wir an die Worte des Propheten Jeremia:  „Das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. (Jer 31,33)“.

Herzlichkeit, Vergebung und kein kalter Gesetzesgehorsam: So waren schon die Gebote des Alten Bundes gemeint.

Hier geht es um die treue, leidenschaftliche Beziehung zu Gott, der die einzelnen Gebote als Hilfsmittel dienen, nicht um die Gebote an sich.

Juden und Christen glauben an Gott, nicht an Gebote!

 

Das muss immer einmal wieder deutlich gesagt werden, denn immer wieder entsteht hier eine Verschiebung, und die Gesetze erhalten eine quasi göttliche Stellung und ihre Einhaltung nimmt den Platz von Gottesliebe und Verehrung ein.

Und die Liebe, die wir zu Gott haben sollten, wird ersetzt durch ein kaltes, berechnendes System von Gehorsam und Anerkennung, von Leistung und Lohn.

Es ist wie bei mancher eingefahrenen Ehe, wo statt lebendiger und emotionaler Liebe nur noch ein System von eingeübten Gewohnheiten und gegenseitigen Diensten das Zusammenleben ermöglicht.

 

Die Gewohnheiten und Regeln sollen aber nur Hilfsmittel und Äußerungen der Beziehung sein, nicht ihr Kern und nicht ihre Grundlage.

Genauso ist es mit dem Glauben: Wer unter dem Glauben nur die Einhaltung von verschiedenen religiösen Gewohnheiten und moralischen Regeln sieht, und dem die eigentliche Person Gottes emotional fern und vielleicht sogar egal ist, der lebt keinen Glauben – weder aus alttestamentlicher noch aus christlicher Sicht!  Glaube ist herzliche innige Beziehung, und die Gebote und Regeln sind Hilfsmittel dazu. Nicht umgekehrt!

 

Die Gebote des Mose zu Scheidung und Ehe sind nur Hilfskonstrukte, nicht das Wesen der Ehe. Das hat uns Jesus heute im Evangelium gesagt.

„Um eures Herzens Härte willen hat Mose euch dieses Gebot geschrieben“ (Mk 10,5).

Die Gebote sind nur Hilfskonstrukte, weil der Mensch schwach ist und scheitert. Die Gebote sind nur Leitplanken für unsere Lebensführung, nicht die Straße selber!

Was wäre das denn für ein Autofahrer, der nur die Verkehrsschilder und ihre Bedeutung auswendig kann, aber keine Freude am Fahren hat und sich keinen Meter bewegt.

Die Gebote sind da, um unseren Verkehr zu lenken und zu schützen, sie sind nicht der Verkehr und die Bewegung selbst.

 

„Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“, sagt Jesus an anderer Stelle (Mk 2,27).

Gottes Gebote sollen helfen und leiten und schützen, sie sind aber nicht Gott selbst.

Und ihre Einhaltung allein ist nicht der ganze Glaube. Glaube ist emotionale Bindung. Es ist wunderbar, dass der Evangelist Markus direkt nach der scharfen Auseinandersetzung Jesu über die Gebote zur Ehe von den Kindern berichtet, die zu Jesus gebracht werden. Die Jünger sind noch ganz im Modus der Lehre und der Diskussion über die Richtigkeit und wollen ihren theologischen Lehrer vor den störenden Kindern schützen.

Aber Jesus sagt: „Lasset die Kinder zu mir kommen!“ Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie:

Das ist Glaube: In eine emotionale, herzliche und ehrliche Nähe zu Jesus kommen und sich von ihm herzen und segnen lassen; nicht bei der Diskussion um irgendwelche Richtigkeiten stehen bleiben.

Wie oft sind unsere Kirchen und Gemeinden nur letzteres, Diskussionsclub um politische Richtigkeiten, und wie oft fehlt die wirkliche emotionale, stärkende Nähe zu Jesus, die unser Leben warm und fröhlich macht.

Egal, ob Glaube, Ehe, Freundschaft oder Straßenverkehr: Wo es nur noch um Richtigkeiten, Regeln und Sitten geht und das Herz fehlt, da stimmt etwas nicht, und da brauchen wir einen neuen frischen, belebenen Geist: Für uns Christen ist klar, von wo dieser Geist kommt. Nicht aus uns selbst, nicht aus gut gemeinten Tipps von anderen; er kann auch nicht heraufbeschworen werden aus einer altgewordenen Demokratie; er muss von außen kommen, von oben; es muss Gottes Geist sein!

 

II

Und jetzt können wir fragen: Wo stehen wir, wenn es um Regeln und Gebote geht? Was macht unseren Glauben aus? Die 10 Gebote, die wir eisern einhalten? Die Spenden und guten Taten, um die wir uns bemühen? Was halten wir dem lieben Gott vor, wenn er uns einmal fragen wird? Ich bin nie zu schnell gefahren. Ich habe sonntags nie Wäsche gewaschen. Ich habe niemanden umgebracht. Werden wir Gott eine Liste vorlegen und alle Punkte schön abhaken?

Oder werden wir ihm unser Herz vorlegen mit all den Wunden und Narben, mit all den Fehlern, die wir gemacht haben, mit all den falschen Neigungen und Wünschen, die wir nicht abstellen konnten, aber doch auch mit der Liebe, die von Gott alles erwartet, die nicht ohne ihn kann?

 

Ich bin mir sicher, Gott will keine Liste, sondern er will unser Herz; er will keine Perfektion, sondern er will Ehrlichkeit; er will keine Leistung, sondern er will unsere tastende, klammernde Liebe:

„Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn.“

 

Nicht meine Liste, die ich vorlege, nicht meine Leistungen, auf die ich verweise, nicht meine Rechnung, die ich gemacht habe, sondern seine Annahme und seine Vergebung

Das erste wäre der Buchstabe, der tötet. Das andere ist der Geist, der lebendig macht.

Diese Klarstellung macht Gottes Gesetz und Gebote nicht wertlos. Diese Klarstellung macht ihre Rolle und Funktion deutlich. Sie helfen uns, aber sie retten uns nicht. Sie bestehen, aber nicht aus sich selbst, sondern weil sie von Gott her kommen. Sie wirken, aber nicht, weil sie geschrieben stehen, sondern nur, wenn sie be-herzigt werden.

 

III

Stein oder Herz? Tinte oder Geist? Wie schreibt nun Gott selber?

Es ist offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid durch unsern Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen.

Sind wir die großen und schönen Aushängeschilder Gottes? Hat die Kirche in der Welt einen so großen Glanz, als ob sie ein Juwel wäre? Ich stelle mir das etwas einfacher und etwas schlichter vor: Die Gemeinde Jesu ist nicht so glänzend und strahlend nach außen, und sie sollte den Mund nicht zu voll nehmen. Sie soll ein Brief sein, ein Empfehlungsschreiben.

Wenn Sie einen alten Pass haben oder eine alte Mitgliedskarte, die Sie immer mit sich im Portemonnaie tragen, dann sieht die nach ein paar Jahren ganz abgegriffen und beschädigt aus.

Aber der Pass ist genauso gültig, auch wenn er abgegriffen ist. Ich weiß nicht, ob alle noch die alten Führerscheine kennen, die wie ein großer speckiger Papierlappen aussahen. Sie waren oft geknickt oder zerknittert oder sind sogar auseinandergefallen. Aber es blieb ein gültiger Führerschein – weil die Stempel drin sind und die Namenszüge drin sind.

Das könnte uns an die Gemeinde Jesu erinnern, so, wie sie sein soll. Das kann nach außen sehr menschlich, sehr unansehnlich wirken. Die Falten spürt man und sieht man. Die Macken spürt man und sieht man. Und mancher Riss ging schon ganz hindurch und wurde nie mehr geschlossen. Man spürt die ganzen Traditionen und Prägungen einer Kirche – auch im Unterschied zur jungen lebendigen Kirche der ersten Tage. Wenn nur die Schriftzüge Jesu eingeschrieben sind, in die Herzen eingeschrieben, dann ist alles gut.

Unsere Frage heute sollte sein: Was hat Jesus in mein Herz eingeschrieben? Das zählt. Das gilt. Das ist das, was wir als Gemeinde miteinander haben. Das ist vorzeigbar. Vor der Welt, aber noch viel mehr: Vor dem himmlischen Vater, vor dem ewigen Gott, wenn wir einmal gefragt werden, was unser Leben war.

Wir sehen es doch auch an uns: Wenn wir einen Brief bekommen, keinen digitalen – das kannten weder Paulus noch unsere Väter und Mütter im Glauben – nein, wenn wir einen richtigen Brief aus Papier und im Kuvert bekommen: Dann kann der ganz schön lädiert daherkommen mit Knicken und Eselsohren. Vielleicht ist beim Zustellen auf die Erde gefallen, vielleicht ist Kaffeefleck darauf oder ein fettiger Fingerabdruck. Vielleicht sieht der Brief schmutzig und unansehnlich aus. Aber das macht uns doch alles gar nichts aus, wenn wir nur die Schriftzüge unserer geliebten Menschen erkennen. Der Brief könnte noch so schön und sauber sein, aber wenn wir nicht die echten vertrauten Schriftzüge wiedererkennen würden, wir wären enttäuscht oder beunruhigt. Die Schriftzüge machen einen echten Brief aus.

Die Schriftzüge Jesu machen seine Gemeinde aus. Sind die echt? Zeugen sie von seiner Liebe und Vergebung? Von seiner Kraft zum Neuanfang? Oder zeugen sie nur von uns selber oder von ganzen anderen Mächten?

Ihr seid ein Brief Christi geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen.

Dass Ihr Glaubensleben bis in die Tiefe Ihres Herzens hineinreicht, das ist wichtig. Das ist entscheidend. Es geht nicht um äußerliche Aufdrucke oder schöne verzierte Kuverts, es geht um die Handschrift, die innen steht und innen angekommen ist. Und das macht eine Gemeinde zu einer Gemeinde Jesu.

Wir können unsere Gemeinde nicht zur Gemeinde Jesu machen. Wir können unser Leben bei aller Anstrengung nicht moralisch perfekt und nach Gottes Ansprüchen vollkommen rein gestalten. Wir können unsere Liebe zueinander und auch zu Gott nicht selber machen oder gar erzwingen.

Das Papier unserer Briefe und die Kuverts unseres Lebens sind notwendigerweise faltig, fleckig und abgegriffen.

Aber das macht gar nichts aus. Das ist nicht entscheidend.

Es ist Gott selbst, der den Schreibstift führt. Und wir, wir müssen ihn nur schreiben lassen.

Amen.

20. Sonntag nach Trinitatis – Pfr. Dr. Jonas