Johannes 4, 5-14
Jesus kam in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte.
Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich an den Brunnen; es war um die sechste Stunde.
Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen.
Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. –
Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser.
Spricht zu ihm die Frau: Herr, du hast doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du denn lebendiges Wasser? Bist du etwa mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Söhne und sein Vieh.
Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten;
wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.
Liebe Gemeinde,
Grenzüberschreitungen sind das Thema des heutigen Sonntags.
„Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die sitzen werden am Tisch im Reich Gottes.“ So sagt es der Spruch für diesen Tag und macht gleicht deutlich, dass nationale und geographische Grenzen für das Reich Gottes keine Rolle spielen.
Das Evangelium, das wir heute als zweite Lesung gehört haben, berichtet anschaulich, wie ein römischer Hauptmann als Nicht-Jude Zugang und Hilfe bei Jesus findet.
Paulus sagte so schön in der Epistel, dass das Evangelium von Christus selig macht „alle, die da glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“
Und schon bei Jesu Geburt war klar, dass die nicht allein für Israel Bedeutung hat, sondern für alle Welt, als der Stern am Himmel die Weisen aus dem fernen Morgenland anzog.
Die Bedeutung Jesu Christi und der Glaube an ihn sind universal: Sie gelten für alle und sind für alle offen. Das ist uns in einer aufgeklärten und globalisierten Welt heute klar. Das scheint uns als Christen nach Jahrhunderten christlicher Mission auf der Erde als selbstverständlich.
Wir würden niemals sagen, dass unser Glaube nur für bestimmte Menschengruppen zugänglich ist.
Wir würden (mit dem Theologen Paul Tillich) aber auch sagen, dass es keinen Menschen der Erde gibt, den dieser Glaube nicht unbedingt anginge.
Der christliche Glaube lässt sich nicht in nationale oder kulturelle Bereiche einsperren. Das ist heute offensichtlich, aber das musste die erste Generation von Jesus-Nachfolgern erst lernen.
Deshalb betont Paulus das so: „die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“
„Mit Jesus Christus Grenzen überschreiten“: Das ist aber auch über die Frage von Ländergrenzen hinaus ein häufiges kirchliches Motto geworden.
„Mit meinem Gott kann ich Mauern überspringen“ sagt schon Psalm 18 und erinnert uns, dass der Glaube einen nicht in enge Bereiche, Regeln und Traditionen einzwängt.
Wir sind also heute eingeladen, über diese Grenzüberschreitungen im Glauben nachzudenken.
Gleich vorab: Das alles heißt nicht, dass es keine Grenzen und Schwellen gäbe. Der Glaube hebt Unterschiede, Differenzen und Grenzen nicht einfach auf; er überschreitet sie. Das ist etwas anderes.
Unser Bibelwort für die Predigt berichtet von der Begegnung Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen.
Und vielleicht geht es Ihnen wie mir, dass ich diese Geschichte viel zu harmonisch und viel zu zahm lese, weil ich sie schon lange kenne.
Der Herr Jesus sitzt in idyllischer Einsamkeit am Brunnen und eine Frau kommt dazu. Die beiden reden miteinander. Am Ende kommt die Frau zum Glauben. Eine wunderbare ruhige Geschichte, wie ich sie von Jesus kenne und erwarte und wie sie mir verschiedene Gemälde vor Augen stellen.
So zahm und idyllisch ist diese Geschichte aber gar nicht.
In ihr werden einige Grenzen überschritten, einige Regeln verletzt und einige Tabus gebrochen. Für die ersten Hörer damals war diese Geschichte ein Skandal. Schauen wir hin, was hier so skandalös war.
Wir befinden uns im Gebiet der Samariter. Das ist das eng verwandte Brudervolk Israels, die Samariter, die viel gemeinsam haben, sich aber dennoch spinnefeind sind. Wir erinnern uns an den Barmherzigen Samariter: Auch das war eine bewusste Provokation Jesu, dass er einen Samariter zum Helden seines Gleichnisses machte.
Wenn man als Jude in Samarien unterwegs war, dann hielt man sich vornehm zurück und blieb in Distanz. Jesus tut das diesmal nicht.
Der Brunnen, der mit dem Stammvater Jakob verbunden wird, ist dann wirklich auch ein wunder Punkt zwischen den beiden Volksgruppen. Beide beziehen sich auf ihn. Beiden ist er heilig. Jesus ruht sich hier aus.
Das ist so, als ob ich mich als deutscher Tourist auf den Brunnen Berninis auf der Piazza Navona setze. Derlei soll ja immer wieder vorkommen.
Das ist so, als ob man eine Aktion in Berlin direkt unterm Brandenburger Tor macht. Ein Symbolort löst besondere Aufmerksamkeit aus.
Dann ist da die Zeitangabe. Es ist genau zwölf Uhr mittags. Die Sonne brennt. Im Süden zieht man sich zu dieser Seite eigentlich zurück.
Es ist keinesfalls die Zeit, in der eine Frau zum Brunnen geht, um Wasser zu holen. Warum kommt diese Frau genau in der brennenden Mittagshitze?
Wahrscheinlich will sie nicht von anderen gesehen werden. Wir erfahren später, dass sie mehrere Männer hatte, dass ihr Leben nicht den Regeln der Gesellschaft entsprach, dass sie wohl kaum einen großen Freundeskreis hatte. Und deshalb kommt sie – mittags um 12 Uhr – ganz allein und will ihre Ruhe. Die bekommt sie heute aber nicht.
Jesus spricht sie an. Das ist schon wieder ein doppelter Tabubruch: Sie ist keine Jüdin, und sie ist eine Frau. Hier wäre Distanz gefragt. Aber nicht von Jesus.
Er bittet die Frau, ihm Wasser zu geben.
Sie scheut sich, denn es ist, wie gesagt, nicht üblich, dass jüdische Herren etwas von samaritischen Damen annehmen.
Und dann folgt ein weiteres Missverständnis, und das Gespräch nimmt einen sonderbaren Verlauf. Und der zeigt, dass es nicht einfach um die Überwindung von ethnischen Differenzen geht.
Jesus sagt nicht: „Ist schon okay! Ich sehe darüber hinweg, dass du Samariterin bist. Ich nehme auch Wasser von dir an.“
Es geht um mehr.
Und plötzlich wechselt die Geschichte vom Trinkwasser des Brunnens hin zum Glauben, zum Glauben an Jesus selbst.
Jesus sagt zu der Frau:
„Wenn du wüsstest, was hier gerade passiert und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du würdest ihn um Wasser bitten. Und er würde dir lebendiges Wasser geben.“
Und wieder versteht sie nicht:
Wie willst du mir Wasser geben, wo du doch gar keinen Eimer oder Krug hast?
Hast du etwa besseres Wasser als es dieser alte und ehrwürdige Brunnen bietet?
Bist du etwa etwas Besseres als unser gemeinsamer Ahne Jakob, der von diesem Brunnen gelebt hat?
Und in der Tat hebt sich Jesus von der Bedeutung dieses historischen Brunnens ab, vom gewöhnlichen Brunnenwasser und von der ethnischen Bedeutung Israels.
Jesus sagte zu ihr: „Wer von diesem Brunnen-Wasser trinkt, den wird wieder dürsten;
wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten.“
Es geht also nicht mehr um normales Trinkwasser, es geht nicht mehr um Brunnen, Eimer oder Krüge.
Es geht um das Wasser, das Jesus gibt. Und damit sind wir auf der geistlichen, auf der symbolischen Ebene angekommen.
Es geht nicht mehr um eine trockene Kehle und einen Schluck Wasser.
Es geht um Lebensdurst und Erfüllung.
Es geht um die Fülle der Bedürfnisse, die wir Menschen haben, und die Weise, sie zu stillen.
Wie gut wissen wir selber, dass sich viele Wünsche nur vorübergehend erfüllen lassen. Wer gegessen hat, bekommt wieder Hunger. Wer einmal ein schönes Spielzeug bekommen hat, will bald wieder ein anderes. Wer einmal gehört hat „Ich liebe dich.“, will es wieder hören. Wer krank war und gesund wird, wird von der nächsten Krankheit eingeholt.
Unsere vielen Bedürfnisse sind nicht definitiv stillbar.
Unser Leben hat ständig „offene Baustellen“. Wenn die eine fertig ist, reißt die andere schon wieder auf.
Jesus spricht nicht hinein in dieses Klein-Klein unserer Bedürfnisse. Er will kein Heiland für einzelne Augenblicke sein.
Es geht ihm uns das große Ganze.
„Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“
Es geht hier um eine grundsätzliche Erfüllung – nicht unseres Hungers oder Durstes oder Zuneigungsbedürfnisses, sondern um unser tiefes Bedürfnis nach Angenommensein, nach Verstandenwerden, nach Ernstgenommenwerden.
Und das nicht durch den einen oder anderen Menschen, sondern durch den, der uns erschaffen hat, und der unser Leben in seiner Hand hat, durch den, der einen Weg für uns hat und einen Plan, durch den, der uns besser kennt als wir uns selbst.
Grundsätzliche Erfüllung – oder lebendiges Wasser, das nie ausgeht, sondern ewig sprudelt, das gibt es nur bei mir, sagt Jesus.
Eine steile Aussage, denken wir als universal denkende Menschen. Eine völlig verrückte Aussage, muss diese Samariterin am Brunnen denken, als sie diesem fremden Juden gegenübersteht.
Eigentlich zum Kopfschütteln oder Davonlaufen.
Der weitere Verlauf des Johannesevangeliums zeigt, dass die Frau aber nicht wegläuft, sondern sich dieses Lebenswasser von Jesus geben lassen will. Es passiert das, was Jesus sagt: Sie fühlt sich von ihm angenommen und verstanden. Sie erkennt ihren Wert und ihre Würde, die sie eben nicht von ihren Volksgenossen und Nachbarn empfängt, sondern nur von diesem Mann.
Sie läuft am Ende in ihre Stadt und sagt: Ich glaube ich habe den Messias gefunden. Schaut euch den Mann einmal an. Und viele kommen zum Glauben an Jesus.
So hat der Glaube oder besser: so hat die Bedeutung Jesu Grenzen überschritten. Nicht durch Aktionen, nicht durch Krieg, nicht durch Verträge, sondern nur durch die Annahme und die Würde, die Jesus Menschen gibt.
Diese Bindung an Jesus hebt Unterschiede nicht auf, stellt sie aber in die zweite Reihe.
Die Bindung an Jesus schafft eine Gemeinsamkeit, die verschiedene Menschen mit verschiedenen Prägungen und verschiedenen Geschichten zusammenbringt.
Es ist und bleibt ziemlich anmaßend, was der Prediger aus Nazareth hier von sich sagt:
„Lebendiges Wasser gibt es nur bei mir.“
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außerdurch mich!“, wird er auch noch sagen (Joh 14,6).
Das kann kein allgemeingültiges Programm für Völkerverständigung oder kulturellen Austausch sein. Das ist zunächst einmal und allererst Einladung zum Glauben an ihn.
Eine Einladung, die man – wenn man sie begriffen und angenommen hat – nicht für sich behalten kann, sondern weitergeben muss.
So, wie die Frau vom Jakobusbrunnen sofort weglief in ihre Stadt und von Jesus erzählte. Sie konnte nicht mehr an sich halten.
Das alles ist kein süßes und harmonisches und idyllisches Programm, mit dem man Unterschiede wegschiebt, sondern eine anspruchsvolle Dynamik, die Menschen hineinzieht.
Jesus zwingt uns auch im Kleinen, immer wieder Grenzen zu überspringen: Die Grenzen unserer Intelligenz und unseres Wissens, die Grenzen unserer Gewohnheit und Bequemlichkeit, die Grenzen unserer Sympathie und Geduld, die Grenzen unserer körperlich und geistig begrenzten Kraft.
Am Ende zwingt er uns sogar, die Grenze unseres Todes zu überspringen – hinein in seine Gegenwart.
Grenzen verschwinden nicht; sie werden aber überwunden.
„Jesus ist kommen, nun springen die Bande.“, werden wir gleich singen.
Was so gewalttätig klingt, erscheint in ganz anderem Licht, wenn wir nochmals einen Blick auf das Bild werfen, das Jesus selbst gewählt hat.
„Das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“
Fließendes Wasser findet seinen Weg. Fließendes Wasser lässt sich nicht aufhalten. Wasser fließt über Grenzen hinweg und durch verschiedene Länder hindurch. Wasser dringt durch den kleinsten Spalt und tropft durch die kleinste Öffnung, die man ihm lässt. Wasser hat Geduld.
Was für ein hervorragendes Bild für Jesus!
Ohne Wasser kann niemand leben.
Wie gut, dass es fließt, und dass man es nur zeitweise aufhalten kann.
Wie gut, wenn es schon bei uns angekommen ist.
Und wie gut, dass es bei uns nicht aufhört, sondern immer weiter fließt, bis es die ganze Schöpfung erreicht hat:
Nicht nur mit Nässe, sondern mit Leben!
Amen.