Römer 12, 9-16
Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an.
Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich.
Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.
Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt.
Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn.
Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft.
Segnet, die euch verfolgen; segnet, und verflucht sie nicht.
Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.
Seid eines Sinnes untereinander.
Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch zu den niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug.
Liebe Gemeinde!
Willkommen in gewöhnlichen Zeiten! Nun liegen die Feiertage, der Jahresanfang und die freien Wochen schon wieder so lange zurück, dass wir wohl alle wieder im Alltag des laufenden Jahres angekommen sind – in ganz gewöhnlichen Zeiten eben.
Und so hören wir heute auch einen ganz gewöhnlichen Abschnitt aus der Bibel. Gewöhnlich in dem Sinne, dass man solch in einen Text in der Kirche erwartet: Eine Liste von guten Eigenschaften und moralischen Aufforderungen.
Hasst das Böse! Seid nicht träge! Ehrt die anderen! Seid gastfreundlich!
Seid eines Sinnes. Seid bescheiden!
So nachvollziehbar diese Prinzipien sind, so gewöhnlich sind sie auch.
Sie überraschen uns nicht. Und sie würden auch niemanden überraschen, der von außen auf unseren Glauben schaut. Genau das würde man von der Kirche erwarten: Dass sie irgendetwas redet von gutem Benehmen, von Liebe, von hohen Werten, von Demut und Fürsorge.
Christlicher Glaube ist für viele ein Katalog von ethischen Werten und moralischen Standards.
„Ja, die Christen, die strengen sich an; die bemühen sich; die wollen moralisch besser sein als die anderen. Ob ihnen das gelingt, ist die ganz andere Frage.“
Diese Reihe von Aufforderungen, die Paulus an die Gemeinde in Rom schickt, und die heute an uns gerichtet ist, wird niemanden von uns überraschen. Es würde auch niemand von uns gegen diese Ideale protestieren. Wir können ja nicht ernsthaft etwas haben gegen Liebe, Fröhlichkeit, Gastfreundschaft, Eintracht und Bescheidenheit!
Wir lassen uns als fromme Christen und anständige Bürger eine solche Liste brav gefallen – auch wenn sie uns nicht vom Hocker reißt.
Nun könnte ich in der Predigt auch brav diese Liste entlang gehen und jede einzelne Tugend auslegen: Liebe ohne Falsch, Hassen der Bösen, Tun des Guten, geschwisterliche Liebe, und so weiter.
Eine solche Predigt wäre brav, gewissenhaft und erwartbar, aber doch eben auch überhaupt nicht spannend!
Um solche eine Liste für gutes Verhalten zu lesen, dazu muss man eigentlich gar nicht in eine Kirche kommen!
Liebe, Fröhlichkeit, Gastfreundschaft, Eintracht und Bescheidenheit:
Wir würden diese Werte wohl in jedem guten Ethik-Buch finden.
Wir könnten sie in jeder weltlichen Neujahrs-Botschaft eines Politikers hören.
Wir könnten sie finden unter den guten Vorsätzen vieler Menschen, die gar nicht an Gott glauben.
Diese Auflistung edler Eigenschaften und Verhaltensweisen allein kann es nicht sein, die christlichen Glauben zu etwas Wertvollem macht – und den Besuch des Gottesdienstes zu etwas Sinnvollem.
Es müsste doch schon etwas Besonderes, etwas Einzigartiges daran sein, damit wir es nicht nur irgendwo lesen, sondern hier im Kerzenschein von der Kanzel herab verkünden!
Paulus wäre nicht Paulus, wenn er uns nichts Einzigartiges bieten würde. Paulus wäre nicht Paulus, wenn auch in dieser Liste von hehren Aufforderungen nicht das Besondere des Evangeliums aufblitzte, des Evangeliums, um dessen Willen Paulus sein ganzes Leben aufs Spiel setzte.
Wir könnten, wie gesagt, die aufgelisteten Aufforderungen einfach eine nach der anderen entlanggehen. Wir können aber darauf achten, wie sie angeordnet sind, und dabei entdecken, was in der Mitte steht.
Und da finden wir Verhaltensweisen, die gar nicht so gewöhnlich oder allgemeingültig sind.
Im Zentrum der Liste steht:
„Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal.“
Hier steht nicht: „Seid fröhlich im Glück!“ Hier steht nicht: „Seid dankbar, wenn es euch gut geht.“
Hier steht: „Seid fröhlich in Hoffnung.“ Und Hoffnung ist, wie wir alle wissen, kein vorhandenes Glück, sondern der Wunsch, dass es besser wird!
Christen sollen also fröhlich sein, wenn es ihnen noch gar nicht gut geht!
Christen sollen fröhlich sein, wenn sie auf das Gute erst noch warten müssen.
Christen sollen also auch im Leiden fröhlich sein und deshalb auch „geduldig in Trübsal“.
Das ist schon keine allgemeine Ethik mehr. Das könnten schon viele nicht mehr so teilen. Das könnte kein Staatoberhaupt in seiner Neujahrsansprache an sein Volk richten: „Seid fröhlich – auch wenn es euch schlecht geht.“ Das wäre zynisch.
„Fröhlich in der Hoffnung – auch im Leiden und in der Verfolgung “: Das ist schon etwas Besonderes, das man außerhalb des christlichen Glaubens seltener findet.
Ganz spezifisch christlich wird es aber, wenn wir weiterlesen:
„Segnet, die euch verfolgen; segnet, und verflucht sie nicht.“
Derartige Ideale findet man nur bei Jesus und daher auch bei Paulus, der hier offensichtlich Kernsätze des Lehre Jesu wiedergibt.
„Seid fröhlich im Leiden.“ „Segnet eure Verfolger.“ Diese beiden paradoxen Aufforderungen stehen in der Mitte unserer Liste; und diese beiden Aufforderungen sorgen dafür, dass es eben keine gewöhnliche Liste, keine allgemeine Moral ist, sondern eine ganz besondere.
Hier stoßen wir an so etwas wie den Markenkern des Christentums. Anleitung zum Glück, zur edlen Gesinnung, zu gerechter Haltung – die finden wir überall.
Aber eine Moral, die das eigene Leid so leichtfertig hinnimmt oder in Kauf nimmt, die ist schon einzigartig, um nicht zu sagen: Die ist verrückt.
Und man kann dieser Ethik auch nicht folgen, ohne eine enge Beziehung zu Jesus Christus zu haben.
Alles andere wäre selbstzerstörerisch oder masochistisch.
Es ist natürlich, normal und gewöhnlich, sich gegen jede Form von Leid zu sträuben und sich gegen jeden Angriff von außen zu verteidigen.
Es geht nur in den Spuren Jesu, das eigene Leid anzunehmen und dem Feind die andere Wange hinzuhalten.
Und jetzt ist es ganz wichtig zu sagen, dass es hier nicht um eine Verherrlichung oder Verharmlosung des Leidens geht. Jesus hat das Leid nicht gesucht, um sich damit zu erhöhen. Die frühen Christen hier in Rom und anderswo haben das Leid nicht gesucht, um sich daran zu ergötzen.
Sie haben das Leiden angenommen, weil sie wussten, dass sie auch im größten Elend niemand aus Gottes Hand reißen konnte.
Leiden Annehmen und Leiden Suchen: Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Wir reden hier nur von Ersterem.
Paulus weiß, dass wir selbst in schlimmster Not immer noch Jesus an unserer Seite haben, an dem wir uns dankbar festhalten können.
Paulus weiß, dass wir auch in der schwersten Lage immer noch Jesus an der Seite haben, der das Blatt wenden wird, sodass kein Leiden endgültig ist.
Christen erfreuen sich nicht am Leiden, sondern sie freuen sich im Leiden.
Das Erste wäre pervers. Das Zweite ist Glauben: Glauben, dass ich auch in der tiefsten Verzweiflung und Angst eine Freude habe, an der ich mich festhalten kann; dass da ein Lichtschein bleibt, den mir keiner nehmen kann.
Das ist gemeint, wenn Paulus sagt:
„Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“
Und wer diese Freude hat, diese Geduld und diese Gottesbeziehung im Gebet, für den folgt alles andere ganz automatisch: Die Demut und Bescheidenheit, die Gastfreundschaft und die Freundlichkeit, die Liebe und die Empathie.
Liebe Gemeinde, es geht heute nicht um allgemeine Ethik, sondern es geht um ihren Kern. Es geht um das, was in der Tiefe unserer Seele stecken soll.
Es geht um eine innere Sicherheit, die auch im Leiden Bestand hat und trägt.
Es geht um eine Freude in uns, die niemand auslöschen kann.
Wir haben heute nicht zufällig vor der Predigt gesungen: „In dir ist Freude in allem Leide“ (EG 398).
Und wir haben heute nicht zufällig das Evangelium gehört, in dem Jesus Wasser zu Wein macht.
Diese Texte hängen nach unserer weisen Leseordnung alle zusammen und sagen das Eine:
Jesus garantiert eine Freude, die nichts und niemand nehmen kann.
Nicht einmal unser eigenes Versagen!
Was Paulus uns in seiner trocken daherkommenden Reihe von Aufforderungen sagt, wird doch viel greifbarer in dem wunderbaren Bericht von der Hochzeit zu Kana.
Diese Begebenheit ist ja eine einzige Illustration des Satzes „In dir ist Freude in allem Leide“.
Da findet eine Hochzeit statt: Eine Normalsituation menschlichen Glücks und menschlicher Freude. Zwei Menschen lieben sich, alle freuen sich mit, für Speis und Trank ist reichlich gesorgt.
Und man könnte mit aller Welt sagen:
„Freut euch mit den Fröhlichen. Seid fröhlich im Glück.“
Das wäre gewöhnlich.
Aber es kommt ja anders.
Die Hochzeitsstimmung droht zu kippen. Die Katastrophe war da. Sie haben keinen Wein mehr. Eine orientalische Hochzeit ohne die Großzügigkeit der Gastgeber: undenkbar!
Das Glück wird zur Katastrophe. Die Fröhlichkeit verliert ihre feuchte Grundlage.
Aber Jesus ist da – und damit die „Freude in allem Leide“, die Hilfe in jeder Not.
Wasser wird zu Wein, und die Notlage ist abgewendet.
Und Achtung: Die Grundlage dieser Freude ist nicht die kluge Vorsorge der Menschen, ist nicht die ohnehin optimistische Stimmung der Feiernden, ist nicht die moralische Stärke der Anwesenden.
Die Grundlage dieser positiven Wendung ist allein die Anwesenheit Jesu Christi.
Und diese Anwesenheit Jesu Christi in unserem Leben, die kann uns niemand nehmen – ob wir nun gerade Hochzeit feiern oder nicht.
Die Geschichte von der Hochzeit zu Kana zeigt uns:
Jesus setzt nicht noch eines oben drauf, wenn es uns ohnehin schon gut geht, wenn alles glatt geht. Sondern Jesus ist dann da, wenn es schief geht. Jesus ist dann da, wenn es zur Katastrophe kommt.
„Seid fröhlich in Hoffnung.“; „Seid geduldig in Trübsal.“; „In dir ist Freude in allem Leide.“
Nochmals: Es heißt nicht: In dir ist Freude, wenn du glücklich bist, sondern: In dir ist Freude in allem Leide.
Das ist der Markenkern des christlichen Glaubens.
Es heißt nicht: Freue dich, weil du glücklich bist.
Es heißt nicht: Wenn du nur gut genug glaubst, dann bist du ein besserer Mensch.
Es heißt nicht: Wenn du nur genug glaubst, dann erlebst du nur Glück.
Nein!
Das Geheimnis gelingenden Christentums ist es, dass man in allem, was einem begegnen kann, nie allein ist, sondern immer Jesus an der Seite hat.
Deshalb müssten wir das eigentlich jeden Sonntag singen, nicht nur wegen der schönen Melodie, sondern wegen dieses wahren Textes:
„In dir ist Freude in allem Leide.“ Was auch passiert, in dir, Jesus, habe ich Halt, finde ich einen Sinn und einen Ausweg am Ende des Tunnels.
Christen suchen nicht das Leid, aber sie sind ihm nicht hilflos ausgeliefert. Weil sie selbst im Tod jemanden haben, auf den sie sich verlassen können.
Vor uns liegt ein gewöhnliches Jahr. Wir werden wieder die gewöhnlichen Herausforderungen und Enttäuschungen unseres Lebens und Zusammenlebens spüren.
Wir sind und bleiben gewöhnliche Menschen mit allen ihren Schwächen und Stärken.
An unserer Seite haben wir aber einen ganz und gar nicht gewöhnlichen Begleiter. Und wir sind eingeladen zu einer ganz und gar nicht gewöhnlichen Haltung: „Seid fröhlich in Hoffnung.“
Und wir vertrauen auf ein ganz und gar nicht gewöhnliches Prinzip:
„In dir ist Freude in allem Leide.“
Das macht uns besonders. Das macht den christlichen Glauben einzigartig.
Das ändert alles:
Eine Hochzeit, die vollkommen schiefgeht.
Eine Lebenssituation, die keinen Spaß mehr macht.
Eine Welt, die aus den Angeln geht.
Eine gesundheitliche Perspektive, in der es nur noch bergab geht.
Er kommt dazu: Und alles wird anders. So soll es sein!
Amen.