Hiob 42,1-6

Hiob antwortete dem Herrn und sprach:

Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer. 

»Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand?« Darum hab ich ohne Einsicht geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe.

»So höre nun, lass mich reden; ich will dich fragen, lehre mich!«

Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen;

aber nun hat mein Auge dich gesehen.

Darum gebe ich auf und bereue in Staub und Asche.

 

Liebe Gemeinde,

ich hoffe, Sie hatten schöne Weihnachtstage! Ich hoffe, hinter Ihnen liegen erfüllte Festtage, die nicht nur ruhig und harmonisch waren, sondern Tage, die auch Ihrem Herzen gutgetan haben: mit der Gemeinschaft der Menschen, die Sie um sich hatten, aber auch mit der Botschaft, die Sie gehört haben.

Es soll uns ja guttun: Die vertrauten biblischen Lesungen in der Kirche, die alten vertrauten Lieder, der Weihnachtsschmuck – auch hier in der Kirche.

Es sind alles harmonische, warme, wohltuende Zeichen. Die Weihnachtstage tauchen unser Leben in eine süße Stimmung. Wir genießen das, aber wir wissen genau: So kann es nicht die ganze Zeit sein.

Die Engel singen und der Himmel steht offen. Der Friede ist da und das Kind von Bethlehem ist zum Greifen nah. Wir stehen bei seiner Krippe.

Aber wir wissen genau: So kann es nicht die ganze Zeit sein. Und die biblische Geschichte weiß das auch: Die Engel fuhren wieder zurück in den Himmel, und nach einiger Zeit mischen sich auch schmerzhafte Misstöne in die Geburtsgeschichte Jesu.

Der König Herodes will das Kind aus dem Weg räumen und lässt alle neugeborenen Knaben in Bethlehem umbringen.

Maria und Joseph müssen fliehen.

Der alte Simeon sagt es der jungen Mutter Maria: Durch deine Seele wird ein Schwert dringen.

Auch die Kirche bleibt nicht lange im süßen Zauber der Weihnacht stehen. Der 26. Dezember ist seit ältester Zeit nicht nur der 2. Weihnachtstag, sondern auch der Gedenktag des Stephanus. Er war der erste Märtyrer der Kirche. Er war der Erste, der für seinen Glauben an Jesus Christus sein Leben ließ.

Uns wird also klar, dass wir durch die Heilige Nacht nicht einfach in eine fromme Traumwelt von Engeln und Sternen versetzt worden sind, sondern dass das Leben mit allen Gefahren weitergeht – ja vielleicht sogar mit zusätzlichen Problemen, die uns der Glaube an das Jesuskind noch einbringt.

Wer sich nicht zu ihm bekennt, hätte nichts zu fürchten von Herodes oder den Mächtigen, die Stephanus steinigten.

Aber wer sich zu diesem neugeborenen Retter stellt, dem weht auch ein scharfer Wind entgegen. Das wird nicht verschwiegen.

Wer mit Gott lebt, dessen Probleme lösen sich nicht einfach auf.

Weihnachten wischt das Leiden nicht weg, sondern Weihnachten spricht in unser Leiden hinein.

Das haben wir heute zu begreifen. Das stellt uns dieser Sonntag nach Weihnachten vor Augen:

 

Mein Gott, dein hohes Fest des Lichtes
hat stets die Leidenden gemeint.
Und wer die Schrecken des Gerichtes
nicht als der Schuldigste beweint,
dem blieb dein Stern noch tief verhüllt
und deine Weihnacht unerfüllt.

 

So dichtet Jochen Klepper und sagt sogar: Wer Weihnachten nicht aus der Tiefe des Leides begreift, der hat es nicht verstanden.

 

Die Leseordnung unserer Kirche lässt heute eine Gestalt des Alten Testaments zu Wort kommen, die wir alle wohl weniger mit Weihnachten als viel mehr mit dem Leid verbinden: Hiob.

Hiob war kein Prophet, Hiob war kein Bewohner Bethlehems, Hiob war ein Mann des Leidens und des tiefen und schweren Ringens mit Gott.

Sein schweres Schicksal steht beispielhaft für die bleierne Menschenfrage: „Wie kann Gott das zulassen?“

Von seiner Geschichte her kennen wir alle den geprägten Begriff der „Hiobsbotschaften“, die alles andere sind als die weihnachtliche Freudenbotschaft.

 

Dass wir uns heute über Hiob dem Weihnachtsgeschehen annähern, ist also anspruchsvoll.

Es erfordert von uns einiges an gedanklichen Umwegen.

Es erfordert von uns zunächst einmal, dass wir das Weihnachtsgeschehen von dem freischaufeln, was in unserer Gefühlswelt so leise wie der Schnee über das Eigentliche gelegt hat. Weihnachtsstimmung, Lichtromantik, süße Engelsgesänge: Das alles müssen wir heute beiseitelassen.

Ich bin mir sicher, dass darin auch eine große Chance liegt, die Geburt Jesu Christi besser und noch tiefer zu verstehen.

 

Hiobsbotschaften. Das sind Nachrichten, die unermessliches Leid bedeuten. Mit ihnen kämpfte der Mann, von dem sie ihren Namen haben.

Hiob ist ein tief frommer Mann. Es fehlt ihm an nichts. Er hat Frau und Kinder, große Tierherden, zahlreiche Knechte und Mägde.

Doch eines Tages bricht eine Hiobsbotschaft nach der anderen über ihn hinein. Er verliert all seinen Besitz, seine Kinder kommen um, und er selbst wird auch noch krank.

Eigentlich kann man nur noch klagen.

Aber Hiob hält sich zunächst zurück.

Aber mit der Zeit kommen Fragen auf, die zu Klagen werden:

Gott, warum lässt du mich so leiden?

Seine Freunde wollen ihm Antwort geben. Sein Leiden müsse doch einen Grund haben. Gott will ihn für etwas bestrafen, vermuten sie. Vielleicht sollen ihn diese Leidenserfahrung auch erziehen.

Hiob gibt sich nicht zufrieden mit diesen Erklärungen. Er betont seine Unschuld. Er will verstehen.

Und dann fordert er Gott heraus: Gott, antworte du mir!

Und tatsächlich: Gott antwortet ihm aus einem tosenden Wettersturm heraus.

„Ich, Gott, habe die ganze Welt geschaffen und erhalte sie jeden Tag. Ich bin es, der das Leben überhaupt ermöglicht, den Menschen, den Tieren, den Pflanzen. Ohne mich wärst du gar nicht da!

Woher nimmst du dir das Recht, mich herauszufordern?“

Und Hiob antwortete dem Herrn und sprach:

Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer.

Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen;

aber nun hat mein Auge dich gesehen.

 

Hiobs Klagen hat auf einmal ein Ende. Aber warum?

Gott hat ihm doch gar keine Antwort gegeben.

Was bringt ihn zum Schweigen?

 

Der Schlüssel ist dieser Satz:

Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen;

aber nun hat mein Auge dich gesehen.

 

Dieses Sehen, das Hiob meint, hat zwei Dimensionen.

Zum einen bedeutet es, dass Hiob etwas erkannt und verstanden hat.

Sein Leiden muss nicht – wie seine Freunde sagten – einen Grund oder einen Sinn haben. Es ist weder die Strafe Gottes für irgendeine Schuld, noch eine Erziehungsmaßnahme. Diese Denkmuster sind allzu menschlich.

In unserem Denken hängen Schuld und Strafe zusammen.

Das Bußgeld kommt, wenn ich zu schnell gefahren bin. Die rote Karte gibt es, wenn gefoult wurde, die Strafarbeit, wenn in der Schule zu oft gestört.

Auch der Gedanke, dass eine Strafe als Erziehungsmaßnahme dient, ist uns vertraut.

Und so denken dann eben auch Hiobs Freunde: Leiden hat einen Grund und einen Zweck. Den muss man nur finden.

Aber dieses Denkmuster ist allzu menschlich.

Dafür hat Gott dem Hiob die Augen geöffnet. Hiob sieht jetzt und versteht:

Es macht keinen Sinn, nach der letzten Ursache oder dem letzten Sinn von Leiden zu suchen. Gott regiert die Welt nach Grundsätzen, die das menschliche Denken übersteigen.

Man kann sich nur fallenlassen in Gottes Allmacht und wie Hiob sagen:

„Ich erkenne, dass du alles vermagst. Ich habe ohne Einsicht geredet von Dingen, die mir zu hoch sind und die ich nicht verstehe.“

 

Das ist die erste Dimension des Sehens. Zweitens bedeutet Sehen Gemeinschaft mit Gott. Gott selbst ist Hiob im Wettersturm erschienen. Bisher hatte er Gott nur vom Hörensagen gekannt. Jetzt hat er nicht – wie seine Freunde – über Gott, sondern mit Gott geredet.

Er hat Gemeinschaft mit ihm erlebt. Er hat Erfahrungen mit ihm gemacht. Deshalb kommt sein Klagen zur Ruhe.

Kann das nun auch unser Klagen zur Ruhe bringen, das wir manchmal am liebsten laut in die Welt hinausschreien würden?

Warum dieses Leiden? Warum trifft das ausgerechnet mich? Warum lässt Gott das zu? Gibt es ihn überhaupt?

 

Wir können wie Hiob in zweierlei Hinsicht sehen.

Wir müssen uns von dem Denken befreien, im Leiden immer eine Strafe und einen Grund dafür zu finden.

Das mühselige und belastende Fragen und Suchen nach dem Warum ist sinnlos. Denn es übersteigt unsere Möglichkeiten.

Wir müssen diese Fragen an Gott abgeben, ihm überlassen, für uns ganz persönlich und auch in der Begegnung mit anderen.

Wenn wir Menschen kennen, die mit ihrer Situation ringen, müssen und können wir ihnen keine Antworten geben.

Aber wir können mit ihnen reden und wir können mit Gott reden.

Im Gebet können wir garantiert Gottes Gemeinschaft erfahren.

Wir können ihn im Gebet anrufen und wir werden in Bibelworten, in Liedern und Gesprächen Antworten finden.

Jederzeit, an jedem Ort. Ganz persönlich im Stillen oder zusammen wie hier in der Kirche.

Und zum anderen können wir Gott auch sehen. Wahrscheinlich nicht so wie Hiob in einem Wettersturm, aber doch viel klarer.

Gott hat sich nicht nur in einem Wetter-Phänomen ausnahmsweise zu Erde geneigt, er ist vielmehr in Jesus menschlich sichtbar geworden und historisch bleibend greifbar.

Wir können wie Hiob die Erfahrung machen:

Ich kannte dich, Gott, nur vom Hörensagen, aber nun hat mein Auge dich gesehen.

Im Lichte von Weihnachten wird diese Aussage sogar noch überboten.

Wie der alte Simeon in unserem Tagesevangelium können wir sagen:

Meine Augen haben deinen Heiland gesehen.

Dieses Kind in der Krippe ist fassbar. Gott ist nicht fern. Und Glaube kein ewiges Ringen und Spekulieren, sondern ein Sich-Festhalten an diesem Jesus.

 

Wo wir vom Hörensagen zu persönlichen Erfahrung kommen,

wo wir von indirekten Informationen über Gott zur direkten Beziehung zu Jesus Christus kommen, da ist Glaube heilsam geworden.

 

So wie bei Hiob:

Er wird wieder gesund und hat am Ende mehr als zuvor. Man könnte sagen: Seine Geschichte hat ein Happyend. Es ging nochmal gut.

 

So wie die Weihnachtsgeschichte auch:

Maria und Joseph haben trotz langer Suche den Stall gefunden.

Die Geburt ging auch ohne Hebamme und sauberes Bett gut.

Jesus hat die Nachstellungen des Königs Herodes überlebt.

Die Weihnachtsgeschichte also auch mit Happyend?

Jesu Lebensgeschichte fängt damit ja erst an.

 

Und unser Leben?

Manchmal mag es uns erscheinen wie eine viel zu komplizierte und viel zu wechselhafte Geschichte, in der wir weder einen roten Faden erkennen noch wissen, wo die Geschichte am Ende rauskommt.

Manchmal mag es uns unser Leben so vorkommen, als ob wir das Drehbuch verloren haben und es unserem Regisseur Gott aus den Händen geraten ist.

Im schlimmsten Fall kann es uns so gehen, dass wir wie Hiob denken, dieser Gott spielt mit uns ein krankes Spiel und wir sind nur eine Marionette.

 

Ein Happyend? Nein, das wäre zu billig. Das ist etwas für einen Film.

 

Für mein Leben gilt: Gott hat eine Zukunft für mich.

Im Leiden stehe ich nicht allein da, sondern mit ihm als Ansprechpartner – und sei es nur für meine Klage.

Am Ende stehe ich nicht allein da, sondern vor seinem Thron.

 

Und wie Hiob und wie Simeon kann ich sagen:

Wenn ich auf meine überstandenen Leidenswege zurückschaue,

und wenn ich auf den Leidensweg Jesu schaue, der ja schon in Bethlehem beginnt, dann kann ich sagen:

„Meine Augen haben dich gesehen. Ich baue auf dich.“

1. Sonntag n. d. Christfest – Pfr. Dr. Jonas