Offenbarung 15,2-4

Liebe Gemeinde, wissen Sie, was eine Mogelpackung ist? Bei einer so genannten Mogelpackung täuscht die Verpackung durch Aufblähen mehr Inhalt vor als tatsächlich drinnen ist. Dieser Gedanke setzte sich in meinem Kopf fest, als ich irgendwann das letzte Buch der Bibel gelesen hatte. Es ist die Apokalypse (zu deutsch Enthüllung) oder auch die Offenbarung des Johannes. Doch wer jetzt denkt, dass einem beim Lesen der Kapitel alles klar, offen und deutlich würde, der hat sich leider getäuscht. In gewaltigen Bildern, in detailreichen Szenen werden Vorgänge geschildert, die schwer bis gar nicht zu greifen sind. Und noch schwerer fällt dann eine Antwort auf die Frage: Was wollen diese Worte nun mir sagen? Wie kann ich an ihnen, mein Leben orientieren?

Wenn nun der Name des Buches mogelt, indem er eine Enthüllung behauptet, die er dann nicht einlöst oder die zumindest ich kaum verstehe. Dann mogele ich jetzt ein bisschen zurück, indem ich nicht versuche, das Geschilderte zu erklären, sondern einfach über die Gedanken, die Einfälle rede, die mir beim Lesen gekommen sind. Ich lese aus dem 15. Kapitel der Offenbarung:

Dann sah ich etwas wie ein gläsernes Meer, das mit Feuer vermischt war.

Und ich sah alle, die den Sieg errungen haben. Sie haben sich befreit von der Macht des Tieres und seines Standbildes – und ebenso von der Macht der Zahl, die sein Name ergibt.

Sie standen am gläsernen Meer und hatten Leiern Gottes. Sie sangen das Lied des Mose, der ein Diener Gottes war, und das Lied des Lammes:

»Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, Gott, Allmächtiger. Voller Gerechtigkeit und Wahrheit sind deine Wege, du König über die Völker. Wer wird vor dir, Herr, keine Ehrfurcht haben und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Alle Völker werden kommen und sich vor dir niederwerfen, denn deine gerechten Taten sind offenbar geworden. «Wer wird vor dir, Herr, keine Ehrfurcht haben und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! (Basisbibel)

 

Kantate: Sieger singen.

So sehn Sieger aus, tralala….  Sieger singen während den Verlierern ihre Sprache verstummt. So im Fußballstadion, wo nach hartem Kampf die Fans im Gesang eins werden mit den Spielern auf dem Rasen, wo auch sie Anteil am errungenen Sieg haben, denn sie waren schließlich mit ihrer Unterstützung der 12. Mann. „We are the champions…“ Oder nach Wahlen, denen ja auch oft ein Kampf vorausging, wenn sich dann die Freude und Anspannung im Gesang entlädt.

Wer auch immer hier besiegt wurde: die Macht des Tieres, der Zahl, des Standbildes.. ,  sind in unserem Leben vielleicht die Macht des Krebses, die Macht des Alkohols, der Fakten oder auch des Krieges oder einer Katastrophe. Wenn der Sieg über etwas Wichtiges, Bedrängendes, Todbringendes errungen ist, dann wird oft gesungen, bricht sich Freude, Erleichterung, Hoffnung eine Bahn. Dann strahlt die Zukunft in hellsten Farben.

Kantate: Singen siegt.

Ja, auch so herum macht es Sinn, sagt der Satz etwas Richtiges. Und wenn das gemeinsame Singen auch nicht immer zum Sieg führt, dann hat es aber zumindest eine gemeinsame Kraft entfaltet, die Menschen verbindet, zusammenhält, an sich glauben lässt und Hoffnung verleiht. Sei es das „bella ciao“ der Partisanen, die „Internationale“ der Linken, das „we shall overcome“ der Friedensbewegten, wer zusammen mit anderen singt, kann darin eine Kraft erfahren, die Unmögliches möglich machen kann. Ich selbst habe nie in einem Chor gesungen, aber es von vielen erzählt bekommen. Filme, wie „Sister Act“ oder „Wie im Himmel“ lassen es einen spüren, ja ziehen einen mit hinein in diese besondere Stimmung, die ungeahnte Kräfte beim einzelnen und der Gruppe entfesselt. Zum Sieg führt es nicht immer. Die Bedrängungen, die Herausforderungen werden nicht einfach in Luft aufgelöst oder verschwinden. Aber die eigene Haltung wirkt gestärkt und die Zuversicht, das Problem, die Schwierigkeiten bewältigen zu können, wird vergrößert. Das schafft gemeinsames Singen.

Das Lied des Mose und des Lammes.

Das Schilfmeer hatten die Israeliten sicher durchquert. Die Streitmacht der Ägypter samt Pharao wurden von den zurückkehrenden Wassermassen verschlungen und getötet. Daraufhin stimmte Mose ein Loblied an. Mir persönlich fällt es schwer, dieses Eingreifen als eine Seite Gottes zu sehen, zu benennen und noch schwerer, ihn dafür gar noch zu loben und zu preisen. Aber ich selbst litt ja auch nicht diese Todesangst vor den Verfolgern, war nicht dem Untergang so gerade entronnen. Bisher verbrachte ich meine Tage fast ausschließlich auf der Sonnenseite des Lebens. Insofern ist mir und meinem Leben das Lied des Lammes viel näher. Das Wort und das Zeugnis Christi: „Liebet den Nächsten, ja sogar eure Feinde!“ trifft die Melodie meiner Seele weit mehr. Nicht der liebe Gott aber der liebende Gott, das ist der Klang, den hast du mir gegeben von Wachsen und Werden, von Himmel und Erde, du Quelle des Lebens, dir sing ich mein Lied.

 

Was folgt nun für mich, für uns aus diesem Text und meinen Gedanken dazu?

  1. Ich glaube nicht, dass wir das in der Offenbarung des Johannes Beschriebene hernehmen können für eine Interpretation, einen Fahrplan unserer Gegenwart. Ja, die Welt, wie wir sie bisher kannten, gerät aus den Fugen. Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten, Energiekrise, Klimaveränderungen, Migrationsbewegungen sind tiefgreifende Veränderungen, die viele Opfer fordern. Sie töten und verletzen unzählige Menschen. Sie stürzen in Verarmung, in Verzweiflung, in Depression. Sie vernichten Lebensräume von Menschen, Tieren und Pflanzen. Sie sind aber nicht der gottgewollte Fahrplan für die letzten Tage der Erde, in dessen Zug wir alle sitzen. Nein, das, was wir gegenwärtig erleben, ist menschengemacht und damit durch Menschen auch wieder veränderbar. Ich vermag nicht, zu sagen wie es im Einzelnen geht, was zu tun und zu lassen ist. Ich vermag auch nicht zu sagen, ob und wieweit wir Ziele erreichen werden oder gar versprechen, dass wir sie erreichen. Wenn es aber eben nicht der Wille Gottes ist, dann können wir als Christen überhaupt nicht anders, als uns gegen diese todbringenden Bewegungen einzusetzen, als Einzelne, als Gemeinden, als Kirchen.

Dann stellen wir neben die Katastrophenbilder der Apokalypse die Hoffnungsbilder, die es dort ja auch gibt, von den Schreien, die verstummen werden, von den Tränen, die abgewischt werden, von der Freude, die einmal sein wird.

  1. Wenn Sieger singen und das Singen siegt, dann sollten wir mehr singen. Am besten gleich jetzt: Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht. Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht‘ micht nicht. (Innario 38).

In dieses Singen können wir alles hineinnehmen: die Angst des Kindes im Dunkeln, die Sinnsuche der Jugendlichen, die Verzweiflung des Bootsflüchtlings, der leere Blick des Soldaten, die Trauer der Witwe. Wir lösen damit nichts auf, wir löschen nichts aus. Aber dennoch bringen wir etwas in Bewegung, wir nehmen etwas oder jemanden mit hinein. „Ich werde für dich beten“, habe ich schon oft in meinem Leben gesagt (und auch getan), aber vielleicht könnte man auch mal sagen: „Ich werde für dich singen“? Oder auch: „Lass uns zusammen singen!“ Lass uns spüren und erfahren, was für eine Hoffnung und was für eine Kraft daraus entstehen kann.

  1. Die Menschen, die Geretteten singen das „Lied des Mose“ und auch „das Lied des Lammes“. Das Chaos der Urflut ist besiegt. Vor einem gläsernen vom Feuer geläuterten See, der keine Gefahr mehr birgt, stehen die Geretteten und singen diese beiden Lieder.

Eine fast unerträgliche Spannung im Gottesbild kommt für mich in unserm Text zur Sprache: Dort die abgründige Seite, hier das zarte Bild von einem schwachen Lamm. Luther spricht vom deus absconditus. „Du bist ein verborgener Gott“. Vor dem müssen wir erschrecken. Das ist der Gott, den Mose „von hinten“ sieht, die von uns abgewandte Seite des allmächtigen Gottes. Seine Allmacht – das ist die uns abgewandte, unzugängliche Seite Gottes.

Es gibt aber auch die andere, die uns zugewandte Seite Gottes, die so ganz anders ist und die uns im Angesicht des Sohnes aufleuchtet. Sie kommt im „Lied des Lammes“ zur Sprache. Diese Seite hebt die andere nicht auf, macht sie nicht ungültig, ebenso wenig wie das „Lied des Lammes“ das „Lied des Mose“ ungültig macht. So müssen wir lernen, beide Seiten Gottes zu akzeptieren, auch wenn wir sie nicht zusammendenken und nicht zu-sammenbringen können. Aber durch Jesus lernen wir, dass die Worte des Liedes von der Gerechtigkeit Gottes als „Lied des Lammes“ noch etwas ganz anderes bedeuten: nicht Strafe, sondern Rettung durch Jesus. Gottes Gerechtigkeit ist die uns zugewandte Seite, die uns rettet, liebt, hegt und trägt. Hier schlägt sein Herz. Gottes eigentliche Macht ist die Macht des Lammes. „Meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung“, sie „ist in den Schwachen mächtig“, hört Paulus, als er an seiner Schwachheit verzweifeln will (2. Kor. 12,9). Sie stärkt ihn und uns.

Davon lasst uns singen: Als Einzelne, als Gemeinden, als Kirchen. Amen

Cantate – Dekan Gerdes