1 Mose 18, 1-8

Und der Herr erschien dem Abraham im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war.

Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde und sprach:

Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber.

Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und lasst euch nieder unter dem Baum.

Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen. Denn darum seid ihr bei eurem Knecht vorübergekommen. Sie sprachen: Tu, wie du gesagt hast.

Abraham eilte in das Zelt zu Sara und sprach: Eile und menge drei Maß feines Mehl, knete und backe Brote.

Und er trug Butter und Milch auf und von dem Kalbe, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor und blieb stehen vor ihnen unter dem Baum, und sie aßen.

 

Liebe Gemeinde,

dreimal sind in dieser bekannten Geschichte von Abraham Bäume genannt.

Was Luther hier so schön mit dem altmodischen deutschen Wort als „Hain“ bezeichnet, lässt im Hebräischen Text erkennen, welcher Baum hier genau gemeint ist: Er heißt „Elon“. Aber was ist nun ein „Elon“?

Luther war clever, denn mit der Übersetzung „Hain“, also „kleine Baumgruppe“ umging er die Frage, um welchen Baum es sich hier botanisch genau handelt. Was ein „Elon“ ist, darüber diskutieren die Forscher bis heute. Ist es eine Terebinthe oder aber eine Eiche?  Ich folge heute hier unserem römischen Fachmann und Freund, Professor Travaglini, der unseren Bibelgarten mitentwickelt hat.

Er spricht sich für die Eiche aus, genauer gesagt: für die Eiche Palästinas.

Sie ist immergrün, hat feste, am Rand stachlige Blätter und wird bis zu 20 Meter hoch.

 

Eichen werden bei Abrahams Wanderungen als Nomade öfter genannt. (Gen 12,5f; Gen 13,4; Gen 35,8). In einer Zeit, als noch wenige Siedlungen mit Gebäuden aus Stein bestanden, da waren es Bäume, die bestimmte Orte, Treffpunkte und Landmarken darstellten.

Man traf sich damals nicht in der Bar an der Ecke, sondern eben bei oder unter den Eichen von Sichem, von Mamre oder von Bethel.

Und auch Gott, der Herr, hält sich offenbar an diese Sitte, denn auch er erschien dem Abraham bei den Eichen von Mamre.

In unserer Geschichte geht es nun aber nicht um die genauen botanischen Eigenschaften dieser Bäume, sondern um das, was sie offenbar bewirken.

Das stehen einige dieser Bäume zusammen und bieten damit vor allem eines: Schutz vor der stechenden Sonne.

Zweimal wird in unserer Geschichte betont, dass die drei Männer, die zu Abraham kommen, unter dem Baum Platz nehmen sollen, also im Schatten. Dort nehmen die Männer Platz, lassen sich die Füße waschen, dort essen sie auch.

Auf unserem Bild auf dem Liedblatt ist ein Mosaik aus San Vitale in Ravenna abgedruckt. Wir sehen, wie die drei heiligen Männer oder Engel am Tisch in der Mitte Platz genommen haben. Links von ihnen steht die Eiche.  Dem Künstler ging es vor allem darum, möglichst viel aus dem Leben Abrahams unterzubringen. Ganz links sehen wir seine Frau Sara im Zelt, das hier wie ein Häuschen aussieht. Daneben sehen wir Abraham, der das Essen aufträgt. Rechts des Tisches mit den drei Männern sehen wir schon eine ganz andere Episode: Abraham ist dabei, seinen Sohn Isaak, der ihm eben genau unter jenen Eichen von Mamre versprochen wurde, zu opfern. Wir sehen aber auch, wie Gottes Hand aus dem Himmel kommt, um ihn daran zu hindern.

 

Dem Baum kommt auf diesem Mosaik keine große Bedeutung zu. Er ist einfach da. Auf anderen, vor allem jüngeren Darstellungen nimmt der Baum viel größeren Raum ein; und er bekommt eine wichtige Funktion. Er bestimmt den Einfall des Lichtes. Und damit ist die zentrale Bedeutung dieses Baumes getroffen: Er spendet Schatten. Alles, was da stattfindet, findet nur statt, kann nur stattfinden, weil es im erträglichen Schatten stattfindet. In der sengenden Mittagshitze des Südens spricht man nicht, setzt man sich nicht hin, und da isst man auch nicht.
Das alles ist nur denkbar im Schatten und unter dem Schutz dieser großen Bäume.

So sonderbar und bedeutsam die Erscheinung dieser drei göttlichen Männer mitten am Tag ist – zu dieser Zeit ist kein vernünftiger Mensch gereist – so nachvollziehbar ist das, was Abraham anbietet und tut.

Er lagert selbst im Schatten der Bäume und macht Siesta.

Und er bietet diesen Schatten auch seinen Gästen an.

Und die drei göttlichen Personen nehmen Platz unter den Eichen von Mamre.

Ich weiß nicht ob Sie es bemerkt haben: In dieser Geschichte kommt das Natürlichste der Welt mit dem Geheimnisvollsten Gottes zusammen.

Was Abraham tut, ist nachvollziehbar und normal.

Was diese drei Männer sind und tun, ist vollkommen mysteriös.

 

Wir haben es hier mit einer der anspruchsvollsten Gottesvorstellungen des Alten Testaments zu tun. Das fängt mit ihrer Erscheinung an:

Die drei Männer, in denen Gott erscheint, kommen gleichsam aus der blendenden Sonne mit ihrem Licht und ihrer Hitze, der sich niemand nähern kann.

Gott wohnt in einem Lichte, dem keiner nahen kann. Von seinem Angesichte trennt uns der Sünde Bann. Unsterblich und gewaltig ist unser Gott allein, will König tausendfaltig, Herr aller Herren sein.

So hat Jochen Klepper ihn beschrieben.

 

Und dann dieses geheimnisvolle Zahlenspiel:

Der Herr erschien dem Abraham im Hain Mamre. Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm.

 

Wenn Gott einer ist, warum kommen dann drei Männer?

Was sind das für Gestalten? Sind es Engel, Boten Gottes, aber nicht Gott selbst? Aber warum fällt Abraham dann vor ihnen nieder?

Sind es drei, weil eine wichtige Botschaft nicht nur einen Boten braucht, sondern auch noch weitere Zeugen?

Oder sind diese drei Personen ein Hinweis auf die Dreieinigkeit Gottes in Vater, Sohn und Heiligem Geist, an die wir Christen glauben, und in der die Kirche das im Neuen Testament Geschilderte zusammendenkt?

In den Ikonen der Ostkirche ist unsere Geschichte das Bild der Dreifaltigkeit.  In diesen drei Engeln zeigen sich Vater, Sohn und Heiliger Geist. Die Eiche ist dabei nur noch Statist im Hintergrund. Und Abraham wird gar nicht mehr dargestellt.

 

In der orientalischen Mittagshitze allerhöchste Theologie!

Auch die Botschaft dieser drei Männer: Sara, Abrahams Frau, soll trotz ihres hohen Alters und ihrer bisherigen Kinderlosigkeit einen Sohn gebären.

Ist das alles nur der Mittagshitze zuzuschreiben? Hatten alle Beteiligten einen Sonnenstich? Abraham kann nicht mehr bis drei zählen; und die Gäste bringen eine verwirrte Idee mit, weil sie dehydriert sind?

 

Liebe Gemeinde, das wäre alles ganz schön verrückt, und das ließe sich auch leicht als verrückt erklären:

Dass Gott die Menschen besucht, noch dazu in drei Männern.

Die alte Frau, die mit Isaak noch einen Sohn gebiert.

 

Ist das nicht alles verrückt? Produkt menschlicher Gehirne unter brennender tropischer Sonne?

Ein Gott, der in drei Personen existiert.

Eine Jungfrau, die einen Sohn gebiert.

Ein Gottessohn, der die Sünden der Menschheit auf sich nimmt und sie erlöst.

Auferstehung Jesu und Auferstehung der Toten.

 

Ja, liebe Geschwister, das wäre alles vollkommen verrückt und in der Tat der stechenden Sonne zuzuschreiben, wenn da nicht unsere Eichen wären!

Denn das, was gesprochen und kommuniziert wird, findet im Schatten der Bäume statt. Im Kühlen, im geschützten Raum, in der Ruhe einer gewöhnlichen Tischgemeinschaft.

So sonderbar das alles auch ist: Es findet in vernünftigem Rahmen statt.

Es findet in ganz menschliche Umgangsformen statt. Es findet unter den Bedingungen der Schöpfung statt.

 

Gottes Erscheinung und Gottes Erlösung sind keine ekstatischen oder abgehobenen oder wirren Gedanken im Kopf eines Spinners oder in den Gedanken eines Philosophen, sondern das sind Ereignisse mitten unter unseren natürlichen Bedingungen:

Unter den Eichen von Mamre, im Stall von Bethlehem, an den Ufern des Sees Genezareth, unter Blitz und Donner auf Golgatha, im kühlen Felsengrab vor den Mauern Jerusalems.

Gottes Erscheinung und Gottes Erlösung sind keine reinen Gedanken und auch keine religiösen Rituale, sondern Handeln Gottes mitten in seiner Schöpfung, mitten in unserer Umgebung!

Das Göttliche kommt ins Geschaffene.

Und der ewige Gott ist sich nicht zu schade, den Schatten einiger Eichenbäume zu genießen.

Das Göttliche kommt ins Geschaffene.

Und der ewige Gott ist sich nicht schade, sich von Abraham und Sara menschliche Speisen auftischen zu lassen.

Das Göttliche kommt ins Geschaffene.

Und der heilige, makellose Jesus ist sich nicht zu schade, den ganzen Schmutz und die ganze Last der Menschheit anzupacken.

 

Gottheit und Natur, Schöpfer und Schöpfung, das ist zu unterscheiden. Das fällt nicht zusammen. Sonst wären wir eine magische Naturreligion. Schon unsere alltäglichen menschlichen Erfahrungen lassen uns immer wieder merken, dass wir nicht göttlich sind.

Aber: Gott und Welt fallen nicht auseinander, sondern der Schöpfer lässt seine Schöpfung nicht, er greift ein, er wendet sich ihr zu, er besucht sie, er belebt sie.

Das Göttliche kommt ins Geschaffene.

Der ewige, unsichtbare, unantastbare Gott, der in einem Lichte wohnt, dem keiner nahen kann, der kommt zu uns.

Oder nochmals mit Jochen Klepper:

Und doch bleibt er nicht ferne, ist jedem von uns nah.

Ob er gleich Mond und Sterne und Sonnen werden sah,

mag er dich doch nicht missen in der Geschöpfe Schar,

will stündlich von dir wissen und zählt dir Tag und Jahr

 

Und die Eichen von Mamre? Die sind und bleiben Zeugen dieser Realität. Die haben mit ihrem Schatten die Bedingungen geschaffen für Gottes Besuch bei Abraham und Sara.

Die waren an Gottes Geschichte mit den Menschen beteiligt wie der Stern von Bethlehem oder das Stroh der Krippe, wie der Esel vor Jerusalem oder das Holz des Kreuzes, wie das Wasser jeder Taufe und Brot und Wein.

 

Gott will nicht am Geschaffenen vorbei zu uns kommen, sondern mitten hinein. Gott erlöst uns nicht von der Natur, sondern mit der Natur.

Das war schon immer wahr, aber das wird uns in diesen klimageplagten Zeiten schmerzhaft bewusst.

 

Wenn wir also das nächste Mal den Schatten eines großen Baumes suchen oder genießen, ganz egal, ob das eine Eiche, eine Terebinthe oder eine Zeder ist, dann seien wir nicht nur dankbar für diesen Baum, sondern dann denken wir auch daran, dass Gott selbst sich unter den Schatten dieser Bäume begab, dass er seine Geschöpfe braucht und benutzt, und uns so viel, viel näher ist, als wir gemeinhin denken.

Amen.

4. Sonntag nach Trinitatis – Pfr. Dr. Jonas